Fischerviertel
Die sog. Fischervorstadt bzw. das Fischerviertel befindet sich direkt südlich der Oberstadt am Ufer des Mains auf einer Flussterrasse. Im Umfeld der Fischergasse zeigt die Parzellenstruktur der Neuzeit ein vergleichsweise regelhaftes Konzept, weswegen F. L. Weber schon in den 1930er Jahren die These vertrat, dass sich hier ein fränkisches Kastell befunden hätte. Ganz abgesehen von der Ausklammerung der topographischen Situation und den methodischen Schwierigkeiten bei dem Nachweis derart langer Grundrisskontinuitäten, ist eine solche Siedlungsform nach schriftlichen und archäologischen Quellen auch in anderen Orten abzulehnen. Entsprechend haben fast alle nachfolgenden Autoren mit Karl Dinklage eine solche Deutung verworfen. Roman Fischer hingegen greift die alten Überlegungen erneut auf und spricht sich für eine planmäßige Anlage der Fischersiedlung durch die Franken aus. Er sieht das Fischerviertel neben Burg und Stiftsberg als dritten Wachstumskern Aschaffenburgs bereits in karolingischer Zeit an. Auch der räumliche Zusammenhang mit der nicht durch Befunde nachgewiesenen frühmittelalterlichen Mainbrücke kann diese Annahme nicht stützen. Letztlich muss die Entstehungszeit dieses Stadtareals aufgrund des Fehlens archäologischer Beobachtungen und der Tatsache, dass Schriftquellen erst für das späte Mittelalter existieren, spekulativ bleiben. Die früheste Erwähnung der Fischergasse stammt aus dem Nekrolog des Stiftes und ist zwischen 1268 und 1287 einzuordnen. Erst in der 2. Hälfte des 14. Jh. wird das Fischerviertel von einer großzügig geplanten Mauer umzogen, die auch unbebaute Flächen einbezog. Innerhalb dieses Areals sind archäologische Befunde des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit vorhanden.
Pfarrkirche St. Agatha
Die erste Erwähnung der Pfarrkirche St. Agatha aus dem Jahre 1184 gibt zugleich den ältesten schriftlichen Hinweis auf die Besiedlung der Unterstadt. In einer Bulle vom 21. Dezember bestätigt Papst Lucius III. dem Stift in Aschaffenburg seine Rechte und Besitzungen. In diesem Zusammenhang wird auch die Kirche St. Agatha als Parochialkirche „extra muros“ genannt. Sie befindet sich ganz in der Nähe des Schlosses Johannisburg am nordwestlichen Rand der Unterstadt. Der bestehende Kirchenbau stammt in großen Teilen noch aus dem 12. Jh. Die Seitenschiffe wurden im 14. Jh., der Polygonchor im 15. Jh. angefügt. Das tatsächliche Alter der Kirche und des sie umgebenden mittelalterlichen Friedhofes wäre nur durch archäologische Ausgrabungen zu klären. Roman Fischer spricht sich für eine Gründung durch Christian I. von Buch, Erzbischof von Mainz (reg. 1165–1183) aus. Er könnte mindestens eine Reliquie der hl. Agatha aus Griechenland, wo er „reiche Reliquienschätze“ erwarb, oder von einer anderen Reise mitgebracht haben. Als staufischer Reichsbischof, der sich im Dienst Kaiser Friedrich I. häufig in Italien aufhielt, wäre er der rechte Mann gewesen, bei seinen Aufenthalten in Aschaffenburg deutliche Zeichen zu setzen. Zudem blieb er dem Stift Aschaffenburg stets eng verbunden, wie seine Urkunden zeigen. Kurt Böhner vermutet hingegen, dass die Kirche mit einer fränkischen Talsiedlung verbunden war und somit ein deutlich höheres Alter besitzt. Entsprechend sind in der Kirche und in deren Umfeld Befunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit zu erwarten. Erst 1994 wurde der Kopf einer mittelalterlichen Steinskulptur bekannt, die kurz nach 1945 bei Enttrümmerungsarbeiten im vor der Kirche liegenden Schutt gefunden wurde. Das Stück ist heute in der Fassade des Wohnhauses Neben der Großen Metzgergasse 6 vermauert (Vgl. Baudenkmäler, Treibgasse 32).
Sandkirche
Die Sandkirche im äußersten Osten der Unterstadt wurde als barocke Saalkirche 1756 und 1757 durch Adel und Bürgerschaft gemeinsam errichtet. Als Votivkirche umschließt ihre aus dem Rokoko stammende Ausstattung ein älteres Gnadenbild. Gegründet wurde sie anstelle der Kapelle „Zur weißen Lilie“, die 1517 an der spätmittelalterlichen Stadtbefestigung nahe dem Sandtor errichtet worden war. Im Boden unterhalb des heutigen Baus und in der unmittelbaren Nachbarschaft sind Teile des Vorgängerbaus sowie der Stadtbefestigung und profaner Bauten aus dem Mittelalter vorhanden (Vgl. Baudenkmäler, Betgasse 1).
Park Schöntal
Im Park Schöntal im Osten der Altstadt befindet sich die Ruine der Kirche zum Heiligen Grabe. Die Kirche wurde 1543–44 in spätgotischem Stil errichtet und war eine Stiftung des Mainzer Erzbischofs Albrecht von Brandenburg. Sie gehörte zu einer Niederlassung der Beginen vor dem Sandtor im Bereich des noch im 15. Jh. eingerichteten Tiergartens. Nach dem Verfall der Kirche wurde sie bei der Anlage eines englischen Gartens um 1780 als malerische Ruine stehengelassen und durch einen Wassergraben in eine Insellage gebracht. Trotz landschaftlicher Veränderungen sind untertägig archäologische Befunde der Kirche und der Konventbauten erhalten, wie Grabungen aus dem Jahre 1951 und jüngere Beobachtungen von 2004 erbracht haben. In der Ruine der Heiliggrabkirche wurden 1951 durch Martin Klewitz vom Kunstgeschichtlichen Institut der Technischen Hochschule Darmstadt, der bereits zuvor in der Aschaffenburger Stiftskirche Ausgrabungen durchgeführt hatte, im Zusammenhang mit Aufräum- und Sicherungsmaßnahmen archäologische Grabungen durchgeführt. Diese wurden nie adäquat publiziert, die wesentlichen Ergebnisse jedoch vor wenigen Jahren von Ludwig A. Mayer zusammengefasst. Bis um 1930 wurde ein Keller genutzt, der sich im vorderen Teil der Kirchenruine befand. Er war bereits 1818 bekannt und später mit Bauschutt verfüllt worden. Der Keller wurde über eine Treppe von außerhalb der Kirchenruine erschlossen und gehört auf jeden Fall in die Zeit der profanen Nutzung. Überraschenderweise erwiesen die Grabungen, dass dieser kleine Raum in einen größeren Keller mit deutlich massiveren Bruchsteinmauern gebaut war. Vermutlich handelt es sich um die Unterkellerung eines Torturms, der parallel zum Stadtgraben an dieser Stelle bis 1538/39 bestanden hatte. Dieser Turm wurde vor Errichtung der Kirche abgebrochen und verfüllt. Die Westwand der Kirche nimmt noch Bezug auf die westliche Kellermauer.
Klewitz ließ durch die Mittelachse der Kirche einen 2 m breiten Suchgraben ziehen. An zentraler Stelle wurde darin ein Grab angetroffen, in dem als Beigabe ein Rosenkranz gefunden wurde, an dem offenbar eine Riechkapsel bzw. ein Amulett befestigt war. Da der Rosenkranz, der sicher aus dem persönlichen Besitz des Bestatteten stammte, heute verloren ist, kann das Grab nicht genau datiert werden. Eine anthropologische Untersuchung des Skelettes weist dieses einem 20- bis 25-jährigem Mann zu. Er wurde offensichtlich als Person von Rang in der Mittelachse der Kirche bestattet. Eine weitere Kirchenbestattung kann heute nicht mehr exakt lokalisiert werden und auch an der Nordwand in Nähe des Chores wurde eine Bestattung angetroffen. Zumindest wurde durch die Grabfunde die erfolgte Weihe der Kirche bewiesen, die bis dahin umstritten war. Die Gräber von Matthias Grünewald und Angehörigen seiner Familie, die sich nach einer älteren Theorie hier befunden haben sollen, wurden hingegen nicht entdeckt. Im Jahr 2004 wurde auf der Schöntalinsel ein schmaler Graben für einen Kabelkanal ausgehoben und durch die Museen der Stadt Aschaffenburg archäologisch begleitet. Dabei wurde an verschiedenen Stellen Mauerwerk dokumentiert, das unversehrt im Boden verblieb. In der Nähe der Heiliggrabkirche wurden drei Mauerzüge beobachtet, die sich nicht näher datieren ließen. Dennoch können sie einen ersten Hinweis auf eine Bebauung des Areals im Zusammenhang mit dem Beginenkloster geben. Unmittelbar an der Kirche war zu erkennen, dass das Kirchenfundament einen in anderer Richtung fluchtenden Mauerzug überschnitt. Offenbar befand sich also bereits vor dem Kirchenbau ein Steingebäude an dieser Stelle (Vgl. Baudenkmäler, Hofgartenstraße 1/1 a/3).
Kapuzinerkloster
Das Kapuzinerkloster im Norden des Schlosses befindet sich in der sog. Dingstall-Vorstadt, einem Gebiet, das wohl erst in der Mitte des 15. Jh. in die Stadtbefestigung einbezogen wurde. Nicht umsonst siedelte sich der moderne Reformorden 1620 hier in der Nähe zum Schloss an. Die Kapuziner waren auf Geheiß des Fürsten, des Erzbischofs Johann Schweikard, als Stütze des gegenreformatorischen und absoluten Fürstenstaates geholt worden. Daneben spielte offensichtlich auch das hier wohl noch in reicherem Maße verfügbare Bauland innerhalb der Umwehrung eine Rolle. Die heute hier stehende Kirche ist ein Neubau von 1908, der nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges wieder aufgebaut wurde. Der 1626/27 errichtete Vorgängerbau war bei einem Brand im Jahre 1813 weitgehend zerstört worden. Als archäologische Befunde sind Überreste des Vorgängerbaus und Befunde einer profanen mittelalterlichen Vorgängerbebauung, die außerhalb der Stadtmauern noch bis an das Ende des 12. Jh. zurückreichen könnte, im Boden vorhanden (Vgl. Baudenkmäler, Kapuzinerplatz 8).
Jesuitenkirche
Kurfürst Johann Schweikard von Kronberg, der dem Jesuitenorden sehr gewogen war, gründete 1612 die erste Niederlassung in Aschaffenburg. Der Grundstein für die neue Kirche, die sich folgerichtig nahe beim Schloss befand, wurde im Jahre 1619 gelegt. 1621 wurde sie zu Ehren der Heiligsten Dreifaltigkeit geweiht. Südöstlich schließen sich die um einen Hof gruppierten drei Flügel der Kollegiengebäude an. Ihre Baugeschichte beginnt bereits mit der Aufführung eines Schulbaus im Jahre 1620. 1975 fanden in der während des Zweiten Weltkrieges schwer beschädigten Kirche umfassende Renovierungsarbeiten statt. Vor dem ehem. Hochalter wurde bei Erdarbeiten ein rechteckiger Kasten aus einer Zinn-Blei-Legierung in einer mit Ziegeln ausgemauerten kleinen „Gruft“ entdeckt. Auf dem verlöteten Kasten befanden sich eine Schriftplatte und ein goldener „Gnadenpfennig“ des Kurfürsten Johann Schweikard von Kronberg. Die Umhüllung dieses Medaillons wurde bei der Auffindung zerstört. Auch der Kasten wurde durch die Bauarbeiter vor Ort unsachgemäß geöffnet, soll jedoch nur eine schwammige Masse enthalten haben. Durch die Inschriftenplatte war der Fund später als Intestinenschrein des 1802 verstorbenen Kurfürsten Friedrich Carl Joseph von Erthal bestimmbar. Nach der schriftlichen Überlieferung waren darin Zunge, Hirn und Eingeweide beigesetzt. Im Schutt wurden noch Textilreste mit Reliquienapplikationen, neue Schädelreliquiare, Fragmente weiterer Reliquiare, Golddraht, Perlengehänge und Textilien aufgefunden. Möglicherweise wurden auch die Intestina des Stifters Kurfürst Johann Schweikard an dieser Stelle nach dessen Tode 1626 bestattet. Jedenfalls soll sich der Schrein Erthals an der gleichen Stelle wie der seines Vorgängers befunden haben. Der Fund macht die lange und intensive Verbindung zwischen der Herrschaft und dem Jesuitenorden deutlich. Aufschlüsse zur Vorgängerbebauung des frühneuzeitlichen Kirchenbaus und der angrenzenden Kollegiengebäude können nur systematische archäologische Untersuchungen geben. (Vgl. Baudenkmäler, Pfaffengasse 26, Pfaffengasse 22/24).
Hanauer Straße/Kolpingstraße
Bei Kabelverlegungsarbeiten an der Kreuzung Hanauer Straße/Kolpingstraße stießen im August 1959 zwei Bauarbeiter in 2 m Tiefe auf einen menschlichen Schädel, den sie bargen und daraufhin die Polizei verständigten. Bei der dann ohne archäologische Beteiligung vorgenommenen Freilegung wurde ein Skelett festgestellt, das in gekrümmter Haltung auf der linken Seite lag. Zu Umfang und Vollständigkeit der geborgenen Skelettreste liegen keine Angaben vor. Der unveröffentlichte kriminalpolizeiliche Bericht vom 25. August 1959 erwähnt keine weiteren Funde aus Keramik oder Stein, was aber auf die Bergung durch Laien zurückzuführen sein könnte. Die linksseitige Lage der Hockerbestattung und die Fundtiefe von 2 m unter der Oberfläche lassen eine neolithische, vielleicht alt- oder auch endneolithische Zeitstellung der Bestattung vermuten. Bis heute handelt es sich bei diesem Befund um den einzigen Hinweis auf einen Bestattungsplatz vorgeschichtlicher Zeitstellung, vermutlich des Neolithikums am Ort.
Quelle:
Ina Gutzeit/Hauke Kenzler: Kreisfreie Stadt Aschaffenburg. Ensembles, Baudenkmäler, Bodendenkmäler (Denkmäler in Bayern. VI. Unterfranken, 71), München 2015, S. 235-237.