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Treibgasse – Pfarrkirche St. Agatha

Treibgasse 32 – St. Agatha

Die kath. Pfarrkirche St. Agatha am westlichen Ausgang der Treibgasse befand sich bis zum Bau der Stadtbefestigung um die zuvor nur durch Wallgräben und Holzwerk geschützte Unterstadt 1346 außerhalb der Stadtmauer. Als solche, nämlich „parrochia extra muros“, wird sie in der von Papst Lucius III. (1181–1185) verfassten Bulle vom 21. Dezember 1184 auch bezeichnet. Die Bulle gilt als die früheste schriftliche Nennung der Pfarrei, deren Gründung in die Mitte des 12. Jh. datiert wird. Sie ist damit die zweitälteste Pfarrei der Stadt. 1279 wurde St. Agatha in das Kollegiatsstift inkorporiert und 1602 wieder selbstständig. Erst 1784 erhielt sie das Taufrecht zurück, was seit der Inkorporation der Stiftskirche vorbehalten war. Nach der Säkularisation wurde St. Agatha 1821 zur eigenen Pfarrei erhoben. 1979 von der Gemeinschaft der Pallottiner übernommen, ist die Kirche heute eine von drei Innenstadtkirchen, die 2006 zur Pfarrgemeinschaft St. Martin zusammengeschlossen wurden. Vor der Kirche wurde nach dem Krieg der St.-Agatha-Platz geschaffen. An der Stelle des ehem. Stadtgrabens an der Nordwestseite des Kirchenbaus verläuft die Ende des 19. Jh. angelegte Erthalstraße.

Baugeschichte:

Es wird angenommen, dass die Kirche ursprünglich als Friedhofskapelle errichtet wurde, deren Funktion mit dem Bau der St.-Anna-Kapelle mit Beinhaus als Friedhofskapelle in der 2. Hälfte des 14. Jh. wegfiel, sodass sich die kleine Kirche mit der Entwicklung der Unterstadt zur Pfarrkirche entfaltet hat. Erste bauliche Veränderungen in größerem Umfang wurden an der zunächst als schlichter Rechteckbau errichteten Kirche Ende des 13. Jh. vorgenommen. Um 1280 wurde sie um einen gerade geschlossenen Chor erweitert und dem Turm ein Glockengeschoss aufgesetzt. In der 2. Hälfte des 14. Jh. wurden Seitenschiffe angefügt und das Mittelschiff erhöht. 1475/85 hat man die Umfassungsmauern der Kirche etwas erhöht und den Turm mit einem spitzen Turmhelm versehen. 1489 wurde der Chor erhöht und im Innenraum durch eine Kommunionbank vom Langhaus getrennt. 1599 errichtete man eine Vorhalle auf der Nordwestseite des Chores, um Gläubigen mit ansteckenden Krankheiten die Teilnahme am Gottesdienst zu ermöglichen. 1613 erhielt das Langhaus eine korbbogige, verputzte Lattendecke. Demnach war wohl auch das Kirchendach des Mittelschiffes noch einmal erneuert worden. Das Langhaus wurde nun durch Obergaden belichtet. Außerdem wurde eine Orgelempore eingebaut. Nach den baulichen Veränderungen in der 1. Hälfte des 17. Jh. sind erst Ende des 18. Jh. wieder Arbeiten dokumentiert, u. a. 1778 Ausbesserungen am Glockenturm. Zur Zeit der Säkularisation Anfang des 19. Jh. befand sich die Kirche in schlechtem baulichem Zustand. Von Seiten des erzbischöflichen Vikariats bestanden Überlegungen, die Pfarrei aufzulösen und die Kirche abzureißen. Wegen heftigen Widerstands aus der Bevölkerung übernahm die Stadt die Kosten für die dringend notwendigen Restaurierungsarbeiten, im Zuge derer die im 18. Jh. hinzugefügte barocke Ausstattung entfernt und der Kircheninnenraum im neugotischen Stil gestaltet wurde. Dabei wurden die korbbogigen Obergadenfenster im Langhaus durch gekuppelte Spitzbogenfenster ersetzt und mit Butzenscheiben versehen. Zu Beginn des 20. Jh. sollte die Kirche wegen Platzmangels erweitert werden. Durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges kam es jedoch nicht zur Ausführung der 1914 ausgearbeiteten Pläne. Die Kirchenerweiterung erfolgte erst im Jahr 1934, für die der Architekt Albert Boßlet die Errichtung eines Querhauses zwischen Langhaus und gotischem Chor plante. Dafür wurden das frühgotische Chorjoch und die Sakristeibauten abgebrochen und im Winkel zwischen Chor und südlichem Querhausflügel eine neue Sakristei angefügt. Im Zuge dieser Maßnahme wurde die 1613 erstellte Korbbogentonne durch eine hölzerne Flachdecke ersetzt und der Triumphbogen zum Chor wesentlich vergrößert. Mit dieser Kirchenerweiterung war gleichzeitig eine durchgreifende Innenrestaurierung verbunden, die weit über die Vorgaben des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege hinausging und schließlich die Purifizierung des nach 1880 im neugotischen Stil umgestalteten Kirchenraumes zum Ergebnis hatte.

Beim Angriff auf die Stadt am 12. Dezember 1944 wurde die Kirche durch Spreng- und Brandbomben schwer zerstört. Durch Phosphorgranaten während der Belagerung im März 1945 war zudem ein Großbrand entstanden, der die Kirche schließlich bis auf den Chor und das Querschiff fast völlig vernichtete. Ebenso fielen das Pfarrhaus und das gegenüber der Kirche gelegene St.- Agatha-Schulhaus, beides Fachwerkhäuser des 15./16. Jh., dem Krieg zum Opfer. Nach Ende des Krieges bestanden Bestrebungen, die Kirche, unter Einbeziehung der erhalten gebliebenen Teile, in ihrer Vorkriegsgestalt wieder aufzubauen. So wurde im August 1948 mit Sicherungs- und Wiederaufbauarbeiten an Chor und Querschiff begonnen, gleichzeitig fanden Abbrucharbeiten am Kirchenschiff statt. Im Februar 1949 konnte das wieder hergestellte Kirchenschiff mit einem Dach geschlossen werden. Der Glockenturm musste abgebrochen und unter Verwendung einzelner Bauteile des alten Turmes neu errichtet werden; mangelnde Standfestigkeit machte den Erhalt unmöglich. Das Portal von der alten Vorhalle im Turm zum Mittelschiff versetzte man an das südliche Seitenschiff, wo es sich noch heute befindet. Am 1. November 1949 wurde die wieder hergestellte Kirche feierlich eingeweiht. Da kurz nach Errichtung des neuen Turmes Risse am Mauerwerk festgestellt worden waren, musste 1954 das Geläut eingestellt werden und es kam zum Beschluss eines Neubaus. So entstand 1962/63 ein neues Westwerk nach Plänen des Würzburger Ingenieurs Gustav Heinzmann. Der neue Glockenturm, eine Stahlbetonkonstruktion mit 18 m hohem Turmhelm, wurde an das nördliche Seitenschiff gestellt. Das Untergeschoss des Turmes ist in Form eines rundbogigen Durchgangs gestaltet. Zwischen Turm und Kirche wurde ein Raum geschaffen, der als Taufkapelle dienen sollte. Da auf der Südseite das Dach des Mittelschiffs bis über das Seitenschiff herabgezogen ist, entstand hier ein Andachtsraum, die Marienkapelle. Im Innern der Kirche hat man den Fußboden erneuert und die Seitenschiffe mit einer hellen Holzdecke versehen. Die Wiederaufbauarbeiten waren am 20. Dezember 1964 vollendet. Bei der Renovierung der Kirche 1981 wurde die Sakristei umgebaut, das Dach neu gedeckt und der Putz ausgebessert. Außerdem wurden die Sandsteingewände der Fenster und die Grabplatten an der Außenfassade des Chores und des südlichen Seitenschiffes gereinigt.

Baubeschreibung:

Der basilikale Bau mit überhöhtem Langhaus und niedrigeren Seitenschiffen sowie eingezogenem gotischem Chor mit Fünfachtelschluss ist nach Nordosten ausgerichtet. Zwischen Chor und Langhaus ist ein Querhaus, dessen Traufhöhe der des Langhauses entspricht, eingeschoben. An das Langhaus ist im Westen ein aus Glockenturm, Taufkapelle, Vorhalle und Andachtskapelle bestehendes modernes Westwerk angefügt. Das dreiteilige Kirchenportal ist mit einem gezackten Vordach überfangen. Das Zacken-Motiv wiederholt sich im Innenraum der Kirche unterhalb der im Zusammenhang mit der neuen Vorhalle errichteten Orgelempore. Diese wird von vier schmalen Betonpfeilern getragen, deren Arkaden in Form von Dreiecksgiebeln ausgebildet sind. Die Seitenschiffe sind zum Langhaus hin mit jeweils fünf Spitzbögen geöffnet. Darüber liegen fünf gekuppelte spitzbogige Obergaden. Der Übergang von Lang- zu Querhaus ist als großer spitzbogiger Triumphbogen gestaltet. Der Bogen zum Chor ist etwas kleiner. Das Hauptschiff ist mit einer flachen Holzdecke abgeschlossen. Der verputzte und hell getünchte Kircheninnenraum vermittelt einen sachlichen Eindruck. Trotz seiner Umgestaltung in den 1960er Jahren wurde versucht, den gotischen Charakter beizubehalten. Der Chorraum wurde 1962 der neuen nachkonziliaren Liturgie angepasst und der neugotische Hochaltar von 1882 in das linke Seitenschiff versetzt. In der Vierung steht ein schlichter Altarblock aus Rotsandstein, daneben ein in gleicher Weise gefertigter Ambo und im Chor anstelle des Hochaltars ein Sakramentshäuschen in Form eines vergoldeten Tabernakels in einem Sandsteingehäuse. Die fünf gotischen Chorfenster haben eine farbig gestaltete Verglasung. Im Querhaus wurde eine Faltdecke eingezogen. Darunter hängt seit 1987 über dem Altar das von Bildhauer Tilmar Hornung aus Bergtheim und Goldschmied Markus Engert aus Würzburg gefertigte große Altarkreuz. Der Gekreuzigte ist hier als bereits vom Kreuz gelöst und auf die Menschen zukommend dargestellt. Die Kreuzenden sind mit Symbolen der vier Evangelisten auf Emaillequadraten versehen. Der im nördlichen Querschiffarm aufgestellte ehem. Hochaltar mit Messingvergoldung auf rotem Grund zeigt im Schrein ein Kruzifix und in den geschnitzten Flügeln Szenen des neuen Testaments. Er ist gerade abgeschlossen ohne Gesprenge. Neben dem Altar befindet sich an der Wand zum Chor die Figur der hl. Agatha mit einem Palmzweig und einer Zange in den Händen.

Im südlichen Querschiffarm steht der 1950 von der Bäckerinnung des Untermains gestiftete „Bäckeraltar“. Der von der Bildhauerin Kathi Hock (einer Tochter des Aschaffenburger Künstlers Adalbert Hock) aus Eiche geschnitzte Altar zeigt in der Predella das Wappen der Innung, eine bäuerliche Szene und das Wappen der Stadt. Im dreiteiligen Aufsatz sind in der Mitte Christus im Segensgestus, links die Mannaspeisung und rechts die Brotvermehrung als Reliefs dargestellt. An den Seiten sind die hll. Antonius von Padua und Klemens Maria Hofbauer als Vollplastiken dargestellt. Neben dem Bäckeraltar befindet sich die Figur des hl. Martin, des Stadtpatrons, der hier mit zwei Bettlern dargestellt ist. Die große Bronzeplastik Mariens rechts des Triumphbogens hat der Würzburger Bildhauer Helmut Weber 1965 als „Mutter der Kirche und aller Gläubigen“ geschaffen. Weiter sind die Figuren des hl. Josef und des hl. Antonius an zwei Pfeilern angebracht. In den Seitenschiffen hängen hinten Gedenktafeln mit Namen Gefallener beider Weltkriege. Die 1964 neu gebaute Orgel stammt aus der Werkstatt Weiß in Zellingen. Die Marienkapelle rechts des Eingangs wird von einer Wand aus durchbrochenen Betonelementen mit farbiger Verglasung dezent beleuchtet. In der Kapelle am Zugang zum südlichen Seitenschiff befindet sich das romanische Portalgewände aus rotem Sandstein. Das Relief im Scheitel zeigt drei Gestalten, die noch nicht identifiziert werden konnten. Die einstige Taufkapelle ist nicht mehr in Gebrauch. Der Taufstein steht im nördlichen Querschiffarm. Im 1964 errichteten neuen Glockenturm läuten seither vier Glocken. Eine von ihnen, die „Dreifaltigkeitsglocke“, gegossen 1478 von dem Frankfurter Glockengießer Martin Müller, hat den Krieg überstehen können. Drei weitere „St. Agatha“, „Maria“ und „Josef“ wurden 1956 in der Heidelberger Glockengießerei Schilling neu gegossen. Am Giebel der Westfassade ist über dem Kirchenportal eine Sandsteinfigur angebracht, welche die hl. Agatha nach einem Entwurf von Julius Bausenwein zeigt und von den Bildhauern Ernst Singer und Willi Grimm aus Würzburg gefertigt worden ist. An der nördlichen Außenfassade des Chores und am südlichen Seitenschiff befinden sich einzelne erhaltene Epitaphien angesehener Aschaffenburger Familien. Des Weiteren ist an der Außenfassade des südlichen Seitenschiffes ein gotisches Sprengwerk angebracht, welches sich bis zur Zerstörung der Kirche im Zweiten Weltkrieg an der südlichen Außenwand des alten Glockenturmes befand. Es handelt sich möglicherweise um die Stiftung eines Tuchmachers oder der entsprechenden örtlichen Innung. Das relativ gut erhaltene bildhauerische Werk aus Sandstein ist eines von sehr wenigen überlieferten steinernen Zeugnissen der spätmittelalterlichen Tuchmacher in Aschaffenburg. Die Platte aus rotem Sandstein unter dem gotischen Sprengwerk präsentiert ein Relief des kreuztragenden Christus. Es handelt sich hierbei um die 1484 von Steinmetz Peter Klar gefertigte plastische Darstellung des Fußfalls, welche sich bis zum Abbruch des Glockenturmes um Fuß desselben befand.

Quelle:

Ina Gutzeit/Hauke Kenzler: Kreisfreie Stadt Aschaffenburg. Ensembles, Baudenkmäler, Bodendenkmäler (Denkmäler in Bayern. VI. Unterfranken, 71), München 2015, S: 184-186.

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