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Kardinal Albrecht von Brandenburg und seine Patchwork-Familie

Auf Spurensuche in Aschaffenburg

Es ist beinahe 15 Jahre her, da machte mich mein Mann auf die Bronze-Tafel an der Schöntal-Ruine aufmerksam. Dort steht: „Kirche zum Heiligen Grab der ehemaligen Beginenniederlassung. Erbaut 1543-44. Zerstörungen 1547 und 1552. Parkstaffage seit 1780.“

Ich hatte als Nebenfachhistorikern bereits einiges über Beginen im Mittelalter gelesen: Fromme Frauen, die sich im Dienste der Nächstenliebe zu Gemeinschaften zusammenschlossen, ohne allerdings ein Gelübde abzulegen und damit einen eigenständigen Lebensweg außerhalb von Ehe oder Kloster wählten. Ich hatte allerdings nicht gewusst, dass es auch in Aschaffenburg solche Konvente gab. Ich wurde neugierig auf die Details und begab mich als nächstes in die Hofbibliothek.

Dort erfuhr ich aus dem Aschaffenburger Häuserbuch, wie das Areal um den damaligen Tiergarten im 16. Jahrhundert ausgesehen hat. Nachzulesen jetzt auch im Stadtarchiv-digital, Beitrag „Die Stadtmauer“, im 2. Absatz.

Außerdem lernte ich, dass nach 1492 Philipp von Gonsrod den „Grauen Beginen“ sein Anwesen im „Zwinger“ zwischen der alten Stadtmauer und dem Tiergarten geschenkt hat.

1527 habe Kardinal Albrecht die Schenkung bestätigt und ein Jahr später beschlossen, „aus Dankbarkeit für die Pflege eines Freundes“, den Beginen neben ihrer Klause eine dreischiffige Grabkirche mit fünf Altären und ein geräumiges Pilgerhaus zu errichten.

Diesen Plan führt er laut Häuserbuch allerdings erst 15 Jahre später „in vereinfachter Form“ aus, wobei das Stift St. Peter und Alexander den größten Teil der Bausumme vorstreckte.

Nun wollte ich weniger über die Baulichkeiten und mehr über die Beginen wissen, denen hier offenbar so viel geschenkt worden war.

Was heute u.a. Dank der Aschaffenburger Ausstellung „Zwischen den Stühlen: Cranach, Luther und der Kardinal“ allgemein bekannt ist, nämlich dass des Kardinals Mätresse Agnes Pless hieß und von ihm als Beginenvorsteherin eingesetzt wurde, war zu Beginn meiner Recherchen zumindest für mich noch Neuland.

Über weitere einschlägige Publikationen in der Hofbibliothek fand ich nicht nur Aufsätze von Kunst- und Kirchenhistoriker:innen, sondern auch ein Buch des Aschaffenburgers Ludwig A. Mayer. „Die Schöntalruine in Aschaffenburg“, worin er in meinen Augen sehr überzeugend darlegt, dass die geplante Beginenklause im Schöntal nie gebaut wurde, sondern lediglich die Kirche, während die Grauen Beginen weiter in ihrem Konvent in der Treibgasse blieben.

Auch bezweifelt er – wie nach ihm weitere Fachleute – die gängige Überlieferung, der Kardinal habe mit der Bestellung seiner Mätresse als Beginenvorsteherin ihre Versorgung sicherstellen wollen. Da Agnes Pless eine vermögende Frau war, hätte sie von den kargen Einkünften einer Beginenvorsteherin kaum leben können. Wahrscheinlicher ist die Erklärung, dass der Kardinal (vergebens) hoffte, diese Position würde ihr zum einen gesellschaftliche Akzeptanz sichern, zum anderen die Gläubiger der Mainzer Kurie davon abhalten, Agnes Pless für die Rückzahlung seiner Schulden haftbar zu machen.

Was ich während beinah zehnjähriger Recherche außerdem erfuhr:

  • Agnes Pless, geborene Strauß, war eine Frankfurter Metzgerstochter und -metzgerswitwe mit einem so großen Vermögen, dass sie dem ständig klammen Kardinal größere Geldsummen leihen konnte, wie man aus ihrem Bericht während der Mainzer Gefangenschaft erfährt.
  • Agnes Pless war zwar kinderlos, pflegte aber wohl eine mutterähnliche Beziehung zu des Kardinals Tochter Anna Schütz von Holzhausen. Diese entsprang der ersten langjährigen Partnerschaft Albrechts mit der Mainzer Adeligen Elisabeth (genannt Leys) Schütz von Holzhausen, die allerdings jung verstarb.
  • Überhaupt muss der Kardinal ein regelrechter „Familienmensch“ gewesen sein, der zwar aus machtpolitischen Gründen die Kirchenlaufbahn einschlug, für die Seinen aber bestens sorgte.

Wie gut, das kann man in der Stiftskirche erfahren: Hier gibt es mehrere Epitaphe, die an des Kardinals Patchwork-Familie erinnern:

  • Die „Schwiegermutter“, Ottilia Strauß, geb. Semer, Mutter von Agnes Pless, die mit ihr von Frankfurt am Main nach Aschaffenburg zog und bis zu ihrem Tod bei Agnes wohnte.
  • Der Enkel des Kardinals, Albrecht Kirchner, Sohn seiner Tochter Anna und des Hofbeamten Joachim Kirchner, der bereits dreijährig verstarb. Auf dem anrührenden Grabstein werden nicht nur die Eltern des Kindes erwähnt, sondern eine überraschend ausführliche Inschrift beschreibt den Kleinen als außergewöhnlich kluges, frühreifes und gläubiges Kind, das vor seinem Tode die ganze Familie Gott befohlen habe. (Die Übersetzung der Inschrift ist zu lesen bei Kerstin Merkel, s. Quellen).
  • Außerdem findet sich dort das Epitaph von Kardinal Albrechts väterlichem Freund und Mentor Caspar von der Schulenburg, also jenes o.g. Freundes, der bis zum Tod von den Grauen Beginen gepflegt worden ist.

Das Haus der Agnes Pless in der Webergasse (wo sich heute die Treppe vom Schlossplatz zum Main herunter befindet) steht nicht mehr. Aber man weiß, dass sie es vom Erlös ihres Anwesens in Halle an der Saale erworben hat, nachdem die „Familie“ auf der Flucht vor der Reformation die zweite Lieblingsresidenz des Kardinals verlassen musste und sich wieder in der ersten, Aschaffenburg niederließ.

Von der Webergasse ist es nur ein Katzensprung zum Schloss, das allerdings damals noch recht anders aussah, eckiger, weniger zugänglich, wie man an dem einzig erhaltenen Burgfried noch sehen kann.

Auch das Haus, in dem sich der Beginenkonvent in der Treibgasse befand, ist nicht mehr erhalten.

Dafür das Grabmal des Kardinals: Nachdem er aus Halle vertrieben worden war, ließ er es aus dem dortigen Dom in die Schöntal-Kirche zum Heiligen Grab verbringen, die gerade erst fertiggestellt worden war. Sie sollte seine Memorialkirche werden. Heute ist es in der Stiftskirche zu finden.

Leider wurde Albrecht – wiederum aus Geldgründen – in seinen letzten Lebensmonaten nach Mainz zitiert. Agnes begleitete ihn. Hier starb er. Und hier bekam er dann auch sein Grabmal, ausgeführt vom Künstler Dietrich Schro und entgegen seinem eigenen Wunsch sehr konventionell gestaltet, wie man im Mainzer Dom besichtigen kann.

Agnes wurde noch am Sterbebett verhaftet, weil die Mainzer Kurie hoffte, durch sie an das Vermögen des Kardinals zu gelangen, genau wie Albrecht es befürchtet hatte.

Diese Hoffnung wurde allerdings enttäuscht. Agnes Pless war nicht nur eine wohlhabende, sondern auch eine sehr kluge Frau – und nicht nur die Kurie ging leer aus, auch ihr zweiter Ehemann, ein verarmter protestantischer Adeliger aus Hessen, führte nach ihrem überraschenden Tod (wenige Wochen nach der Hochzeit!) vergebliche Prozesse um die Herausgabe „seines“ gleich ihres Vermögens.

 

Mich hat diese Familie sehr gefesselt und ich sehe ihre Spuren überall, wenn ich durch Aschaffenburg spaziere.

Ich selbst lebe im Umland, in unmittelbarer Nähe des Erzbischöflichen Jagdschlosses „Weyberhöfe“, in dem der Kardinal sich gern aufhielt und von wo er ggf. auch die historische Kegelbahn in Frohnhofen besuchte, die ebenfalls seit der frühen Neuzeit verbürgt ist.

Ein Fundus an Familiengeschichte und spannenden Erinnerungen! Ich habe daraus zwei Romane gewoben: „O Mensch, bedenck das End“ und „Manna. Aufbruch zu den Sternen“. Beide befinden sich im Bestand der Stadt- und der Hofbibliothek. Zwei weitere Stationen übrigens, die ich neben Schöntal-Ruine, Stiftskirche und -museum sowie Schloss immer wieder aufsuche. Es lohnt sich jedes Mal!

 

Quellen (Auswahl):

Aschaffenburger Häuserbuch III. Zwischen Sandgasse, Roßmarkt, Betgasse und Wermbachstraße. Hrsg. v. A. Grimm. Aschaffenburg 1994.

Ludwig A. Mayer. Die Schöntalruine in Aschaffenburg. Ein Gang durch ihre fast 500jährige Geschichte. Aschaffenburg 2007.

Andreas Tacke. Die Aschaffenburger Heiliggrabkirche der Beginen. Überlegungen zu einer Memorialkirche Kardinal Albrechts von Brandenburg mit Mutmaßungen zum Werk Grünewalds. In: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 3/1992 (S. 195-239).

Ders. (Hrsg.). Wir wollen der Liebe Raum geben: Konkubinate geistlicher und weltlicher Fürsten um 1500. Göttingen 2006. (= Schriftenreihe der Stiftung Moritzburg, Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt, hrsg. v. Katja Schneider. Bd. 3: Vorträge der III. Moritzburg-Tagung (Halle/Saale) vom 31. März bis 2. April 2006).

Kerstin Merkel. Albrecht und Ursula. Wanderung durch Literatur und Legendenbildung. In: Andreas Tacke. Wir wollen der Liebe Raum geben, a.a.O. (S. 175-186).

Fotos: Ruth Elsholz

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