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Dossier Josef Dinges

Josef-Dinges-Straße (Schweinheim), benannt 2003 (bis 2024) nach

Josef Dinges (1906 – 1969)

Kleiderfabrikant

  • * 28. Dezember 1906 in Wernborn (heute Ortsteil von Usingen, Hochtaunuskreis)
  • Ausbildung zum Schneider und zum Zuschneider
  • 1926/27 Umzug nach Aschaffenburg, Arbeit als Angestellter
  • 1933 – 1940 Inhaber einer Kleiderfabrik in Aschaffenburg (12 Angestellte) [laut Gewerbeamt „seit 18.7.33 gewerbepolizeilich gemeldet mit Herstellung und Vertrieb v. Herren- und Knabenkonfektion“]
  • Ca. 1933 – 1945 Mitglied der DAF
  • Ca. 1933 – 1945 Mitglied der NSV
  • 1940 – 1945 Mitglied der NSDAP
  • 1940 – 1944 „Textilsachbearbeiter“ im Getto Lodz/Litzmannstadt; seit 01.12.1940 angestellt beim Arbeitsamt Aschaffenburg [eigenen Angaben zufolge „dienstverpflichtet“]
  • 1943 Tod der Ehefrau
  • 1944 Wehrmacht und russische Kriegsgefangenschaft
  • 1945 Rückkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft nach Aschaffenburg
  • 1945 Kleiderfabrikant in Aschaffenburg [laut Auskunft Arbeitsamt seit 1.9.1945, eigenen Angaben zufolge Wiederaufnahme der Kleiderfabrikation 1947]
  • † 20. November 1969 in Aschaffenburg

 

Wirken in der NS-Zeit

Der gelernte Schneider und Zuschneider Josef Dinges kam um 1926 nach Aschaffenburg (gemeldet 1927). Er gründete dort 1933 eine Kleiderfabrik mit 12 Angestellten. Laut eigener Angaben in seinem Meldebogen vom 9. Mai 1946 im Zuge des Entnazifizierungsverfahrens betrug sein steuerpflichtiges Einkommen anfangs 3.200 RM (1934) und stieg bis 1938 auf 16.500 RM an.

Josef Dinges war Mitglied der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) sowie der Deutschen Arbeitsfront (DAF). Im Juli 1940 beantragte er die Mitgliedschaft in der NSDAP und wurde zum 1. Oktober 1940 als deren Mitglied [Nr. 8 200 627] geführt (Ortsgruppe Aschaffenburg, Mainfranken; Ausstellung der Mitgliedskarte: 10. Mai 1941, BArch, NSDAP-Zentralkartei).

Von Ende 1940 bis 1944 arbeitete Josef Dinges als Textilsachbearbeiter beim Auftragsüberwachungsbüro im „Getto Litzmannstadt“ (Lodz) für die dortige deutsche Gettoverwaltung. Sein steuerpflichtiges Einkommen betrug 1943 – Angaben des Finanzamts Aschaffenburg folgend – 11.614 RM. Laut tradierter Unterlagen war er ab Dezember 1940 beim Arbeitsamt Aschaffenburg angestellt. Vor seiner Einstellung fragte das Arbeitsamt Aschaffenburg seine politische Zuverlässigkeit bei der Kreisleitung der NSDAP Aschaffenburg an, woraufhin ihm ein „Politisches Unbedenklichkeits-Zeugnis“ ausgestellt wurde (11.12.1940, unterzeichnet von Kreisleiter Wilhelm Wohlgemuth, BArch, R 9361-II/168616). In einer Stellungnahme dazu hieß es: „Der PA [Partei-Anwärter, HK] Josef Dinges ist politisch zuverlässig. Seine sittliche und moralische Führung ist einwandfrei. Er hat sich zum Eintritt in die NSDAP gemeldet.“

Nach der Auflösung des Gettos Litzmannstadt im Sommer 1944 diente Josef Dinges als Soldat der Wehrmacht (nur Kennkarte tradiert, BArch, PA, B 563-1 KARTEI / D 339 / 39) und geriet in russische Gefangenschaft. Zurück in Aschaffenburg betrieb er wieder eine Kleiderfabrik (laut Auskunft des Arbeitsamts aus dem Jahr 1947 war er ab 1. September 1945 als „selbständiger Kleiderfabrikant“ gemeldet).

 

Entnazifizierungsverfahren

In der 14 Seiten umfassenden Entnazifizierungsakte von Josef Dinges (StAWÜ, Spruchkammer Aschaffenburg Stadt 420) findet sich neben seinem Meldebogen ein maschinengeschriebener und unterzeichneter „Politischer Lebenslauf“ vom 18. November 1947 (das Urteil der Spruchkammer war bereits am Tag zuvor gefasst worden, hatte ihn aber wohlmöglich noch nicht erreicht) mit folgendem Wortlaut:

„Ich wurde am 28.12.1906 in Wernborn geboren, erlernte das Schneiderhandwerk, bildete mich zum Zuschneider aus und machte mich 1932 in Aschaffenburg in Anfertigung von Kleidern selbständig. Politisch stand ich unentwegt dem Parteileben fern.

1940 wurde mir von Dr. Fleischmann eröffnet, daß mein Betrieb stillgelegt werden müßte, weil ich mich nirgends beteilige und kein Pg sei. Meine Hoffnung, der Existenzberaubung durch Eintritt in die NSDAP (1.10.40) begegnen zu können, erfüllte sich nicht. Der Betrieb wurde stillgelegt.

Beweis: Christian Stier, Schneider, Cornelienstr.

Ich wurde dann durch das hiesige Arbeitsamt nach Litzmannstadt dienstverpflichtet, woselbst ich als Textilsachbearbeiter im Ghetto Lodz bis 1944 tätig war. Ueber meine Haltung zu den Juden wie auch als Mensch beziehe ich mich auf die anliegende Erklärung von Wolf, Glaser und Herschkopf vom 18. März 1946 und auf den ebenfalls anliegenden Brief von Maximilian Fischer, München, Böcklingstr. 38 vom 18. I. 1946.

1943 verlor ich meine Frau und Ende 1945 kehrte ich aus russischer Kriegsgefangenschaft in die Heimat zurück. Im Frühjahr 1947 nahm ich wieder den Fabrikationsbetrieb auf.

Ich betone, daß ich stets Antinazi war. Für diese Tatsache vermag ich, falls erforderlich, eine Reihe von Zeugen zu benennen. Ich bitte um Einstufung als Mitläufer, falls die Voraussetzungen für die Weihnachtsamnestie nicht zutreffen sollten.“

Die beiden erwähnten Dokumente sind Teil der Akte. In der kurzen Erklärung bezeichnen sich die Autoren Leo Glaser, Wolf Herschkopf und Wolf Tuschinski [so die Unterzeichneten] als „ehemalige KZ-Häftlinge und von den Nürnberger Gesetzen Betroffene“. Josef Dinges habe in seiner Funktion als Textilsachbearbeiter beim damaligen Auftragsüberwachungsbüro „in engster Fühlung mit den jüdischen Arbeitern der jüdischen Textilfabriken zusammengearbeitet“. Abschließend heißt es: „Wir haben Herrn Dinges als einen stets korrekten und freundlichen Mitarbeiter kennen gelernt.“ In einem maschinengeschriebenen Brief vom 18. Januar 1946, verfasst offensichtlich von einem ehemaligen Kollegen aus dem Getto Litzmannstadt, Maximilian Fischer (München), berichtet der Verfasser von Juden, die ihn nach Kriegsende aufgesucht hätten. Namentlich erwähnt werden „der Zuschneider Tuschinski“ sowie ein „Herr Glaser“. Dazu heißt es: „Alle Juden hatten und haben eine lebhafte Nachfrage nach Dir – immer das Erste, was macht der Dinges, das war ein braver Mensch. Es kann sein, dass Du demnächst Besuch bekommst.“ Verifizieren lässt sich das Geschriebene nicht.

Im bereits erwähnten Meldebogen vom 9. Mai 1946 hatte Josef Dinges seine Tätigkeit im Getto Litzmannstadt nicht erwähnt, bei den Angaben zum Einkommen unter dem Jahr 1943 lediglich „Angest[ellter]“ vermerkt, „Firma des Arbeitgebers“ hingegen nicht ausgefüllt.

Josef Dinges wurde von der Spruchkammer Aschaffenburg-Stadt auf Grund seiner Mitgliedschaften in NSV, DAF und NSDAP als „Mitläufer“ eingereiht und mit einer Geldsühne in Höhe von 800 RM versehen (17.11.1947).

 

Anmerkungen

Die 2003 verstorbene Witwe von Josef Dinges, Elvira Gertrud Dinges, hatte in ihren Testamenten „der Stadt Aschaffenburg mehrere Objekte vermächtnismäßig zugewandt“ (SSAA, SBZ II, 899). Eine der Auflagen hinsichtlich des Erbes bestand darin, dass innerhalb eines Jahres in einem neuen Wohngebiet eine Straße nach ihrem verstorbenen Ehemann benannt werden sollte. Die Stadt Aschaffenburg beschloss die Erbschaft anzunehmen – und benannte im November 2003 die Verbindungsstraße zwischen Sälzerweg und geplantem Baumarkt (heute „Bauhaus“) auf dem Gelände der ehemaligen Ready-Kaserne in Josef-Dinges-Straße. Eine weitere Auflage war offensichtlich die Gründung einer Stiftung, wie der Homepage der Stadt Aschaffenburg zu entnehmen ist: „Die Josef-Dinges-Stiftung wird von der Stadtkämmerei der Stadt Aschaffenburg verwaltet und hat die Förderung von Altenwohnanlagen der Stadt und des Kindergartens „Suppenschule“ zum Zweck. Das Stiftungsvermögen besteht im Wesentlichen aus drei Immobilien. Die Stiftung wurde durch das Testament der 2003 verstorbenen Elvira Dinges initiiert.“

In den Beständen des Staatsarchivs Lodz konnten mehrere Aschaffenburger Firmen nachgewiesen werden, die im Getto Litzmannstadt Kleidung produzieren ließen; aber bislang keine Informationen darüber, welche Aufgaben Josef Dinges als Textilsachbearbeiter im Getto ausgeübt hat.

 

Quellen:

  • Archiwum Państwowe w Łodzi (Staatsarchiv Lodz)
  • BArch, R 9361-II/168616
  • BArch, Abteilung PA, B 563-1 KARTEI / D 339 / 39
  • StAWÜ, Spruchkammer Aschaffenburg Stadt 420
  • SSAA, SBZ II, 899
  • SSAA, ZAS 01, 4362 (Straßenname) [Zeitungsausschnittsammlung]

 

Literatur:

  • Bopp, Dominika et al. (Hrsg.): Die Enzyklopädie des Gettos Lodz/Litzmannstadt. Göttingen 2020.
  • Klein, Peter: Die „Gettoverwaltung Litzmannstadt“ 1940 bis 1944. Eine Dienststelle im Spannungsfeld von Kommunalbürokratie und staatlicher Verfolgungspolitik. Hamburg 2009.

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