Von Gebhard Johann Syndikus
Geschichtliche Hintergründe
„Nach über hundert Jahren Existenzunsicherheit und dreißig Jahren Krieg hatte das Erzstift 1648 erstmals wieder die Chance, verfassungsrechtlich gesichert und in Frieden den wirtschaftlichen, finanziellen, kulturellen, wirtschaftlichen und religiösen und kirchlichen Wiederaufbau anzugehen (Zitat aus Jürgensmeier, S. 223). „Nur selten nahm eine Mainzer Erzbischofwahl einen für Erzstift, Erzbistum Reich und Kirche so guten und glücklichen Ausgang wie der von 1647“ (Zitat aus Jürgensmeier, S. 220).
Am 19. November 1647 wurde Johann Philipp von Schönborn (1605-1673)[1] vom Domkapitel zum Erzbischof gewählt. „Als Landesherr und Bischof hat Johann Philipp viel getan, um den möglichen Aufschwung wirklich voranzubringen. Er mühte sich um die Verbesserung von Handel, Handwerk, Wirtschaft und Verkehr. Er trug Sorge für die Wiederbesiedelung verödeter Gebiete, insbesondere im Raum um Seligenstadt“ (Jürgensmeier, S. 223)[2]
Nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) und auch den darauffolgenden Jahrzehnten war die Bevölkerung durch Kriegshandlungen, plündernde Truppen Seuchen und Hungersnöte mancherorts stark dezimiert, viele Gehöfte standen leer und zerfielen. Aus diesem Grunde ließ der Mainzer Erzbischof und Kurfürst Leute aus den umliegenden Ländern zur Neubesiedelung der Dörfer anwerben und gewährten ihnen für mehrere Jahre Fron- und Steuerfreiheit. Zwischen 1650 und 1690 zogen flämische und wallonische Einwanderer in das Kurfürstentum Mainz. Viele katholische Familien sahen in diesem Angebot eine Chance, den Repressalien der Protestanten in Holland in Regionen, wo ihr konfessioneller Homogenitätsanspruch dominierte, zu entgehen.
Die Vorfahren
In diesen Zeiten erwarben auch unsere Vorfahren Besitz in Schweinheim bei Aschaffenburg. In den noch erhaltenen Büchern der Muttergottespfarrei „Zu unserer lieben Frau“ wird als erster ein hier ansässiger Vorfahre Adam Hanns Sinicus verzeichnet, geboren 1650, gestorben 12.12.1700, verheiratet mit Maria Eva NN. Als zweiten Eintrag findet man dort Heinrich Sinicus, geboren 1685, gestorben am 5. 4. 1773, Ehefrau namentlich unbekannt. Die Schreibweise des Namens Sinicus deutet auf die niederdeutsche Herkunft der Familie.
Erst in der dritten Generation mit Johann Syndikus geboren 1725, gestorben am 18.1.1756, Ehefrau Barbara Kolb, wurde der Name Sindicus (Sinicus), der schon im 13. Jahrhundert im Niederdeutschen gebräuchlich war, in Syndicus transkribiert, der wiederum aus dem altgriechischen σύνδικος (syndikos) abgeleitet ist, was σύν: gemeinsam, δικος: Recht, also Vertreter der Rechte einer Gemeinde bedeutet.
Es folgte die vierte Generation mit Jakob Johann Syndikus, geboren am 16.3.1748, gestorben am 12.8.1815, verheiratet mit Anna Maria Kullmann. Ab hier wurde der Vorname Jakob in den nächsten drei aufeinanderfolgenden Generationen gebräuchlich. Sohn Jakob Syndikus, geboren am 3.3.1778, gestorben am 21.3.1855, ehelichte Katharina Staudt. Deren Sohn Jakob Syndikus, geboren am 11.12.1816, gestorben am 26.10.1895, war verheiratet mit Katharina Rickert, waren die Eltern meines Großvaters. Mein Urgroßvater war von Beruf Bauer und hatte elf Kinder. Nur noch eine lebende ältere Verwandte, Frau Margarete Ritter, kannte noch sein Elternhaus in der Fischergasse, die damals zum Main führte. In der Zeit der Eingemeindung Schweinheims zu Aschaffenburg, wurde die Schweinheimer Fischergasse wegen der Namensgleichheit mit der Fischergasse in Aschaffenburg, umbenannt in Seebornstraße.
Jakob Syndikus, Sanitätsfeldwebel
Mein Großvater, Jakob Syndikus (geboren 23.4.1876, gestorben 13.6.1943, verheiratet mit Eva Hirsch, geboren am 6.11.1877, gestorben am 15.11.1946), war das elfte und letzte Kind seiner Eltern. Seine Kindheit, Volkschule mit anschließender Tüncherlehre bis zum späteren Meister verging ohne besondere Vorkommnisse. Im Alter von siebzehn Jahren verstarb 1893 seine Mutter, sein verstarb Vater 1895. Glücklicherweise nahm ihn die Familie seines Bruders Josef, geboren 1858 auf. Er war Helfer bei der Feuerwehr, Kirche und Turnverein gaben ihm Halt und Weisung. Volljährig geworden, leistete er den Wehrdienst als Sanitäter. Diese Entscheidung beeinflusste sein späteres Leben nachhaltig.
Am 11.1.1900 heiratete er Eva Hirsch, geboren am 6.11.1877, gestorben am 15.11.1946. Das Ehepaar lebte in der Sodener Straße 18 in Schweinheim und hatte vier Kinder. Alois, das erste Kind, geboren am 24.7.1902, gestorben am 19.10.1921. Am 28.09.1904 wurde mein Vater Josef Gregor Syndikus geboren, verstorben 9.5.1979, verheiratet mit Agatha Schäfer. Die Tochter Hildegard wurde am 20.12.1909 geboren, gestorben am 16.10.1989. verheiratet mit Franz Rickert. Das jüngste Kind, Adam Georg Syndikus, wurde am 13.8.1913 geboren und starb am 9.10.1986, er war verheiratet mit Hedwig Alzmann.
Das Leben meines Großvaters, von Beruf Tünchermeister, wurde bald von den Schrecken des Ersten Weltkrieges geprägt mit all seinen Zerstörungen, Verwundeten und gefallenen Soldaten an der Ostfront. In seiner Funktion als Unteroffizier der Sanitärer arbeitete er im Lazarett und half so viel als ihm möglich war, getreu seinem Leitspruch, den er für sich von Goethe adaptiert hatte: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.“ Nach dem Krieg wurde er Vorstand des Arbeiter-Unterstützungsvereins, gründete die Sanitätskolonne Schweinheim und wurde ihr Vorstand.
Einen Überblick von seiner Tätigkeit in der Rotkreuzkolonne Schweinheim schildert ein Zeitungsbericht in „Der Bote vom Untermain“, 1936[3]:
„Jakob Syndikus, Schweinheim
Ein um das Sanitätswesen hochverdienter Kolonnenführer.
Schweinheim, 1. Februar. Vor einigen Tagen fand in Schweinheim im Gasthaus zum Adler bei Herrn Höflich ein Kameradschaftsabend des Sanitätszuges Schweinheim statt. Der Saal war bis auf den letzten Platz besetzt. Auch Sanitätsmannschaften von Aschaffenburg, Goldbach, Obernau und Gailbach waren mit ihren Führern und mit den Helferinnen des Roten Kreuzes vertreten. Die Sanitätskapelle von Aschaffenburg verschönte den Abend mit herrlichen Weisen. Auch Bürgermeister Schebler, einige Gemeinderäte und fast sämtliche passive Mitglieder nahmen an dem Abend teil. Sehr rege war auch die Bevölkerung der Gemeinde Schweinheim vertreten. Der Sanitätszugsführer eröffnete die Feier (mit einem dreifachen Sieg Heil auf unseren Führer, den Schirmherrn des Roten Kreuzes und gedachte in ehrenden Worten des Gründers der Sanitätskolonne Schweinheim. Kolonnenführer Hartmann verlieh alsdann im Auftrage des bayerischen Landesvereins dem bisherigen Kolonnen- und Zugführer Jakob Syndikus, Tünchermeister, eine Ehrenurkunde als Anerkennung für seine Dienste um Volk und Vaterland. Syndikus wurde zum Ehrenmitglied der Sanitätskolonne Aschaffenburg ernannt. Im Auftrag des Sanitätszuges Schweinheim überreichte Zugführer Adam Rickert Herrn Syndikus ein Ölgemälde seiner eigenen Person in Uniform, welches Herr Eduard Nagel gemalt hat und das sehr gut ausgefallen ist. Fräulein Kolb überreichte im Namen der Helferinnen von Schweinheim zum treuen Gedanken und als dankbare Anerkennung einen schönen Blumenkorb. Bürgermeister Schebler widmete dem um das Sanitätswesen hochverdienten Kolonnenführer herzliche Worte der Anerkennung. Desgleichen Sanitätsbeirat Albert Staudt. Kolonnenführer Syndikus dankte in herzlichen Worten für die ihm zuteil gewordenen Ehrungen.“
Doch die Ruhe meines Großvaters währte nicht lange, denn 1939 wurde Jakob Syndikus von der Heeresverwaltung als Sanitätsfeldwebel wieder in den Kriegsdienst genommen und dem Reservelazarett Aschaffenburg zugeteilt. Sein neues Aufgabenfeld war die Pflegeausbildung junger Menschen für den Sanitätsdienst, besonders die Pflege schwerstverletzter Soldaten. Bei dieser Arbeit infizierte er sich mit Drüsen- Tuberkulose und Bronchial-Pneumonie, das zwang ihn selbst zu einem stationären Aufenthalt. In einer Spezialklink operierte man ihn und entließ ihn als unheilbar in seine Heimat. Er wurde am 31.12. 1942 als Feldwebel von der Heeres-Entlassungsstelle Frankfurt am Main 1/IX aus dem Dienst entlassen, seine Stammnummer war 2574/42.
Am 13.6.1943 erlag Feldwebel Jakob Syndikus seinem mit Geduld ertragenen Leiden. Sein Name nahm man in die Liste der gefallenen Schweinheimer Soldaten auf und eingemeißelt bei der späteren Errichtung des Ehrenmals im Schweinheimer Friedhof.
Anlässlich der Beerdigung hielt Pfarrer Umenhof folgende Laudatio für Jakob Syndikus:
„An seinem Grab konnte der derzeitige Pfr. Umenhof aus tiefstem Herzen sprechen:
Am Grab des J. S. kann ich nicht stehen, ohne ihm einige Worte gewidmet zu haben. Ich schließe meine Worte an ein Wort, das J. S in seine vielen Reden, die er gehalten hat, oft sagte: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.“ Das war Jakob Syndikus!
Ich lernte J. S. vor mehr als 20 Jahren als ersten Schweinheimer kennen. Ich sollte Schweinheimer Pfarrer werden, da erschien J. S. eines Tages auf meiner Wohnung in der Nelseestraße zu Aschaffenburg. Er kam, um mir zu sagen, was in Schweinheim zu tun sei und er versprach mir seine Hilfe und die Mitarbeit seines Arbeiterunterstützungsvereins. Das erste, was Sie in Schweinheim schaffen müssen, ist eine neue Orgel. Ich werde mit dem Arbeiterunterstützungsverein dafür sorgen, daß Sie mit dem Geld keine Schwierigkeiten bekommen. Ich habe dann gleich nach meinem Amtsantritt morgen vor zwanzig Jahren diese Frage als erste vorgenommen. Nach eineinhalb Jahren war die neue Orgel mit einem Kostenaufwand von 18500 M fertig. Das Zweite war die Bitte um ein heiliges Grab. Wenn die Schweinheimer heute ein feines heiliges Grab haben, das jetzt zugleich als Gefallenenmahl dient, so danken sie es zumeist der Mithilfe des Verstorbenen. So ging es später dann auch bei der Restaurierung der Kirche und bei der Einrichtung der Kirchenheizung. Dafür sage ich dem verstorbenen auch im Namen der gesamten Kirchengemeinde ein herzliches Vergelts Gott!
Ich sah J. S. zwanzig Jahre im öffentlichen Leben stehen: Im Arbeiterunterstützungsverein, im Turnverein, im Sanitätszug Schweinheim, in der Feuerwehr Schweinheim. Da denke ich besonders der vielen Stunden, die er dem Sanitäts- und Feuerwehrwesen gebracht hat, sie alle tragen den Gedanken: Edel sei der Mensch, hilfreich und gut. Wenn heute viele Schweinheimer an der Front stehen, die als Sanitäter Dienst tun, dann danken es alle, die von ihnen betreut werden, J. S. Wenn in so vielen Jahren Schweinheimern in Feuersnot Hilfe wurde, dann mögen sie auch in Dankbarkeit an J. S. denken.
Ich schreibe das Wort: Edel sei der Mensch, hilfreich und gut über seine letzten Jahre. Als bewährter Sanitätsoffizier des letzten Krieges ging J. S. sogleich nach Ausbruch dieses Krieges in den Dienst des Roten Kreuzes und arbeitete zur allgemeinen Zufriedenheit im Reservelazarett Aschaffenburg. Obwohl er als Sanitätsfeldwebel sich mehr als Aufsichtsperson hätte betätigen können, griff er unermüdlich selbst zu, wo er helfen konnte. Aus seiner Arbeitszeit im Reservelazarett weiß ich zwei Worte von Verwundeten: 1. Seine Hand war die Hand einer Mutter die ihr Kind versorgt.‘
2. Ein Wort, das ein sterbender Soldat den seinen sagte, als J. S wegen seiner Krankheit nicht mehr im Lazarett war: ‚Wenn S. J. hier geblieben wäre, müsste ich nicht sterben.‘
Im Dienst des Roten Kreuzes holte er sich seine Sterbenskrankheit. Wohl wollte man ihm Heilung schaffen in einer Heilanstalt, diese konnte ihn aber nur entlassen damit er in seiner Heimat sterben könnte. Und so starb er als Kriegsopfer wie die vielen draußen in Frankreich und Russland, hier in Schweinheim. An seinem Grabe habe ich einen Wunsch: Maria, die Gottesmutter, die er als Sodale in Treue verehrte, auch in den Jahren, wo er im Lazarettdienst in Aschaffenburg weilte, möge ihm helfen zu einem guten Plätzchen bei ihrem Sohn, mit dem er sein Leiden trug bis zum Tod in Geduld und Gottergebung. R. i. p.!“
Quellen:
Sammlung Pfarrer Karl Umenhof, HuGV Aschaffenburg/Schweinheim
Bildernachweis (Privatarchiv Gebhard Johann Syndikus):
Bild 1: Portrait Jakob Syndikus, gemalt von Eduard Nagel
Bild 2: Jakob Syndikus und Eva Hirsch
Bild 3: Nachkommen von Jakob Syndikus, von links: Franz Rickert, Josef Gregor Syndikus, davor die Mutter Eva Syndikus, geb. Hirsch, Hildegard Rickert, geb. Syndikus mit Kind Bernhard, Adam Georg Syndikus
Bild 4: Stammbaum, Entwurf und Ausführung von Gebhard Johann Syndikus
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Philipp_von_Sch%C3%B6nborn.
[2] Friedhelm Jürgensmeier : „Das Bistum Mainz“ Josef Knecht, Frankfurt Main 1989, S. 223.
[3] Bemerkung von „Aschaffenburg 2.0“: Der Zeitungsartikel ist im damals typischen NS-Jargon geschrieben, der Regimepropaganda dienend.