Nicht weit vom heutigen Klinikum entfernt liegt die Kippenburg. Auf den ersten Blick mag man an die Überreste einer mittelalterlichen Burg denken – aber weit gefehlt, das Bauwerk stammt aus dem Jahr 1839!
Das kam so: Ab 1839 wurde der Godelsberg kultiviert, denn er war bis dahin links und rechts der Ludwigsallee ein grobflächiges Ödland mit vielen Steinen. Mit der Kultivierung konnten die Flächen – z. B. mit Apfelbäumen – bepflanzt oder bebaut werden.
Der erste Bewerber war der Pflastermeister und „Chaussee-Unternehmer“ Adam Kipp (1789-1851)[1]. Am 22. April 1839[2] erhielt er die Erlaubnis, eine „Oedung links der Ludwigsallee zu cultiviren“. Alle Unebenheiten waren so auszugleichen, dass der Boden gepflügt werden könnte. Mit den Steinen, die er aus dem Boden holte, erbaute er eine Burg, die nach ihm benannt ist – die heutige Kippenburg.
Der Bau der Kippenburg fällt in das Zeitalter der Romantik (ca. 1790 – 1850): Dichter sammelten Märchen (z.B. Brüder Grimm) oder schrieben Märchen (z.B. Clemens Brentano), Naturdenkmäler wurden literarisch entdeckt (z.B. Heinrich Heine: Das Lied von der Loreley), und auch die Ritterzeit wurde wiederentdeckt und romantisiert. Dazu passt genau die Errichtung der Kippenburg.
Adam Kipp war Weinhändler mit einem Geschäft in der Dalbergstraße und hatte am Godelsberg mehrere Weinberge, die er bewirtschaftete.
Viele Flächen wurden in den 1840er Jahren auf die beschriebene Weise kultiviert. Auf Adam Kipp folgten weitere Pächter: Der Maurer Gerhard Schönig (1774-1846) erhielt die Genehmigung, den Krämersgrund (rechts der Ludwigsallee) zu kultivieren. Der Lohnrössler (Kutscher) Nikolaus Braun (1807-1858) und der Pflästermeister Ignatz Schleicher erhielten die Genehmigung, den Büchelberg zu kultivieren und Joseph Müller erhielt die Genehmigung, den Wendelberg zu kultivieren. Für alle galten ähnliche Bedingungen: Optische Anpassung der landschaftlichen Gegebenheiten, Ausgleichung der Unebenheiten, Auslesung (= Aussortierung) der Steine, Pflügen des Neulandes und Anpflanzung bestimmter Baumarten und Grassorten. Die Pachtzeit betrug jeweils vier bis sechs Jahre.
Am 23. März 1840 war die Kippenburg-„Ruine“ – zumindest teilweise – bereits errichtet[3], denn Kipp bekam die Erlaubnis, einen Weg von seinem Weinberg zur Ruine anzulegen. Dafür musste er jährlich an Martini (11.11.) drei Kreuzer „Anerkenntnißgeld“ zahlen.
Unterhalb von der Kippenburg gibt es eine von Felsblöcken gebildete „Kanzel“, heute „Teufelskanzel“ genannt. Sie ist seit Mitte der 1850er Jahre ein beliebter Aussichtspunkt. Von Zeit zu Zeit werden die davorstehenden Bäume nachgeschnitten, um wieder die freie Sicht herzustellen.
Bemerkenswert ist, dass die Kanzel erst seit 1933 – erstmals im Aschaffenburger Adressbuch 1933 – „Teufelskanzel“ genannt wird, zuvor wird sie in allen Stadtführern und Adressbüchern noch als „Felsenkanzel“ erwähnt. Es gibt auch noch eine „kleine Schwester“ der Teufelskanzel, das ist die nicht weit entfernte „Goldbacher Kanzel“.
Die Teufelskanzel wurde zusammen mit der dazugehörigen Steinbank in Jugendstilformen von 1912 auf Antrag der Altstadtfreunde 2013 unter Denkmalschutz gestellt[4]. Die Kippenburg selbst war schon vorher unter Denkmalschutz gestellt worden.
Die Kippenburg war schon in früheren Zeiten ein idealer Ort, um Feste zu feiern. Seit 1965 veranstaltet dort der Karnervalsverein „Stadtgarde“ das Kippenburgfest, das sich großer Beliebtheit erfreut[5].
Adam Kipp verstarb am 4. November 1851 an Brust- und Bauchwassersucht[6]. Seine Witwe heiratete 1853 den Privatier Heinrich Haus, verstarb aber auch schon 1854.
Bildnachweis:
Sterbeeintrag von Adam Kipp: SSAA, Sterbebuch 1840 – 1860, S. 150, Eintrag vom 4. November 1850.
Fotos vom 5. Oktober 2022: Matthias Klotz
[1] SSAA, RegH 4 (Heimatregister), Eintrag C/K 41.
[2] SSAA, ProtM 19 (Stadtmagistratsprotokoll 1839/40), Nr. 415.
[3] SSAA, ProtM 21 (Stadtmagistratsprotokoll 1840/41), Nr. 400.
[4] Artikel „Teufelskanzel auf der Denkmalliste“, in: Main-Echo 2013, Nr. 277, S. 20.
[5] Siehe: https://www.stadt-garde-aschaffenburg.de/kippenburg .
[6] SSAA, RegH 13, Heimatregister-Eintrag H 311.
Laut Wikipedia wurde mit Bauchwassersucht oder auch Blähbauch die Krankheit Aszites bezeichnet, die mit rund 75 % durch Leberzirrhose verursacht wird.
Der Korporal Heinrich Haus, den Margarete Kipp 1852 heiratete, war Jahrgang 1825 und damit ca. 26 Jahre jünger als seine Ehefrau (1).
Bereits im Jahr 1833 wurde oberhalb eines von Kipp bewirtschafteten Weinberges auf damals städtischem Grund an dem später von Kipp gebauten Verbindungsweg zur Kippenburg von einem gewissen H. I. C. Rosmann wohl nach dem Vorbild von Caspar David Friedrichs „Kreuz im Gebirge“ das Sandsteinkreuz errichtet, bzw. dort hin versetzt, das heute nahe der Kastanienallee steht (2). 1844 wurde wohl auf Initiative von Bürgermeister Adalbert v. Herrlein ein ähnliches aber neues „Kreuz im Gebirge“, nämlich das als „Haibacher Kreuz“ (Gustav Trockenbrodt) bekannte Sandsteinkreuz am Haibacher Friedhof über einem Steinbruch errichtet.
In die Romantik passen auch zwei Kippenburg-Sagen:
Noch zu Lebzeiten des Ehepaars Adam und Margarete Kipp (geb. Vongries aus Kleinostheim) erschien ab 1849 in verschiedenen Zeitschriften und in Buchform die Sage „Das Turnier im Spessart“ von Franz J. Englert (s. Englertstraße).
Die weit bekanntere „Sage von der Kippenburg“ soll Adalbert Herrlein, dem damaligen Bürgermeister von Aschaffenburg von einer Frau zugesteckt worden sein. Diese von ihm 1857 veröffentlichte Sage spielt m. E. mit der Figur der Emilia auf eine der drei Töchter des Buchhändlers Carl Krebs an (Louise, die spätere Buchhändlerin Emilie und die spätere Schriftstellerin Marina Witter). Zudem war Magistratsrat Carl Krebs, der damalige Eigentümer der Kippenburg, in zweiter Ehe mit Caroline, der Schwester des Schriftstellers Alexander Kaufmann (Papiermühle Kaufmann) gebürtig aus Bonn und Bekannt mit Karl Simrock verheiratet (3).
Die Felsenkanzel hatte offensichtlich bereits vor 1847 einen Zugang über herausgehauene Stufen. So ist sie jedenfalls in dem Buch „Die Mainlande und ihre nächsten Umgebungen“ von Ludwig Braunfels auf einem Stahlstich nach einer Zeichnung von Fritz Bamberger abgebildet.
Ein erstes Stahlgeländer datiert nach den Gemeinderechnungen aus dem Jahr 1874 und wurde vom Verschönerungsverein Aschaffenburg und Umgebung initiiert.
Quellen:
1. Museen der Stadt Aschaffenburg, Museumsdepot, Unterlage zum Portrait der Margarete Kipp von Carl Richard 1839
2. Urkataster um 1845; Hausakte „Lug ins Land 19“: Antrag an die Stadt Aschaffenburg, das Kreuz zu entfernen.
3. https://www.google.de/books/edition/Quellenangaben_und_Bemerkungen_zu_Karl_S/K5k6AAAAcAAJ?hl=de
Ich muss mich leider korrigieren:
Der Korporal Heinrich Haus, den Margarete Kipp (geb. 1792) 1852 heiratete, war Jahrgang 1825 und damit nicht, wie irrtümlich von mir angegeben ca. 26 Jahre, sondern ca. 33 Jahre jünger als seine Ehefrau.
Im Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg ist eine Abbildung der Kippenburg als Teil eines Sammelbildes unter der Signatur AT 32 archiviert.
Als Entstehungszeit dieses Bildes ist fälschlich „um 1820“ angegeben und als Maler und Radierer Wilhelm von Kobell, was wohl eben so wenig stimmt.
Bei einem ähnlichen Sammelbild aus der Zeit um 1850 mit der Signatur: AT 55, das ebenfalls die Kippenburg zeigt, ist
„W. Schneider, Zeichner und Lithograph“ als der Urheber angegeben.