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Revolution und Räterepublik in Aschaffenburg 1918/19 (Teil 2)

Fortsetzung von: Revolution und Räterepublik in Aschaffenburg 1918/19 Teil 1

Revolution und Räterepublik in Aschaffenburg 1918/19 (Teil 1)

Neben der schwierigen Versorgungslage stellte die Rückkehr der Truppen in heimische Gefilde jedoch das größte Problem dar. Es mangelte an Arbeit und damit an Verdienstmöglichkeiten, um sich die steigenden Lebensmittelpreise leisten zu können. Zudem waren viele Stellen während des Krieges von Frauen besetzt worden, die 1918 nicht bereit waren, still und leise von den neuen Positionen, die sie eingenommen hatten, zu weichen. Darüber hinaus hatten die ersten Reformen der neuen Regierung Eisner nicht nur den Freistaat und den Achtstundentag, sondern ebenfalls das Frauenwahlrecht etabliert, so dass Frauen nun gleichfalls dazu in der Lage waren, ihren Wünschen und Sorgen politisch Nachdruck zu verleihen. Der Arbeiter- und Soldatenrat agierte im Bezug auf diese Problematik tatsächlich unbeholfen: „A.-R. Lauer schlug vor, dahin zu wirken, daß die weiblichen Hilfskräfte in den kommunalen und privaten Betrieben entlassen werden müssen, um dadurch den Kriegsbeschädigten und stellenlosen Kaufleuten Arbeitsgelegenheit zu verschaffen. A.-R. Stock warnte vor einer schablonenmäßigen Entlassung der weiblichen Hilfskräfte, man soll erst prüfen, ob die weibliche Hilfskraft nicht auch ein Miternährer der Familie ist.“ [1] Die neugewonnene Emanzipation sollte demnach den Notwendigkeiten einer heimkehrenden Armee von Männern geopfert werden.

Hinzu kommt ein drittes schwerwiegendes Problem: das öffentliche Bild der revolutionären Regierung sowie die Furcht vor einer Radikalisierung der Revolution und einem Sozialismus russischen Typs. Die Verschleppung der Wahlen zur Nationalversammlung, entgegen der Idee, dass das Rätesystem lediglich provisorisch sei, erhärteten also auch die Kritik an Eisner aus dem Aschaffenburger Raum. Während „einzelne […] maßgebende Führer der Unabhängigen im Privatgespräch gar kein Hehl daraus [machen], daß sie entschlossen sind, das russische Beispiel nachzuahmen und die Nationalversammlung mit Waffengewalt auseinander zu jagen, wenn sie ihnen nicht zu willen ist“ [2] und dadurch der Furcht vor russischen Zuständen zunehmend Ausdruck verliehen, schien die Position des Ministerpräsidenten verwirrend. Eisner, der bereits wegen seines Eingeständnisses der deutschen Kriegsschuld in die Kritik geraten war, wurde zunehmend unbeliebt und der Leser bayerischer Zeitungen konnte durchaus den Eindruck gewinnen, dass der Regierungschef mit unterschiedlichen Positionen des politischen Lagers rang. Die Münchner Kommunisten um Lewin „bat [er] fast flehentlich um Ruhe und Ordnung; denn eine Revolution, die nicht imstande sei, Ordnung zu halten und Arbeit zu leisten, sei verloren. […] Wenn das Proletariat die Nationalversammlung verhindere, so sei das der Bankerott des Proletariats.“ [3] Für die Aschaffenburger Zeitung war diese Erklärung ein Geständnis des Ministerpräsidenten:

In diesem Bekenntnis liegt wohl der Schlüssel zur Erklärung von Eisners Wandlung. Von den zwei Seelen, die in Eisners Brust wohnen, muß zurzeit die eine schweigen; er fürchtet die Geister, die er rief und hofft sich nun – Der Strohhalm, an den sich der Ertrinkende klammert! – die Rettung seiner unhaltbaren Stellung von der Nationalversammlung, für die er bisher so wenig Gegenliebe gehabt hat. Schienen ihm die Spartacusleute in Bayern stark genug, um die Neigungen seiner zweiten Seele durchzusetzen, dann wäre es ihm sicherlich lieber. [4]

Dieser Annahme der Redaktion der Aschaffenburger Zeitung kann jedoch nicht zugestimmt werden. Es kann konstatiert werden, dass Eisner nicht nach einer Radikalisierung der Revolution nach russischem Vorbild strebte, sondern vielmehr versuchte, divergierende politische Kräfte zu vereinen, etwas, dass ihm schließlich misslang. Je länger die Wahlen verschoben wurden, umso stärker wurde allerdings die Kritik an Eisner, die sich bis zu Androhungen von Gewalt gegen seine Person steigerte.

Im Februar 1919 kursierte beispielsweise ein Flugblatt im Aschaffenburger Raum, das Studenten, die im Weltkrieg gedient hatten, dazu aufrief, Eisner bei einer Rede im Deutschen Theater offen – und vermutlich ggf. tatkräftig – mit Kritik zu konfrontieren. [5] Währenddessen erhielt Eisner zunehmend Briefe, in denen er nicht nur als jüdischer Verschwörer und Berufsrevolutionär betitelt wurde, sondern immer öfter extrem beleidigt oder bedroht wurde. Ein anonymer Schmährief, adressiert an den „Saujuden Koschinski“ fasst alle Vorwürfe gegen die Person des ersten bayerischen Ministerpräsidenten zusammen:

 

1. er ist in den Augen der Bayern ein Zuchthäusler,

2. ein schmieriger Drecksjud,

3. ein spinneter Hanswurst,

4. ein odrabter Spitzbube,

5. ein hundsgemeiner Französling,

6. ein unbeschnittener Mistjude,

7. ein bestochener Hochstapler,

8. ein ungewaschener Sauhund und,

9. ein vom Glaubensgenossen Northcliffe bezahltes Schwein,

10. der Auswurf der Menschheit,

11. ein verseuchter Ehebrecher,

12. ein ganz gemeiner internationaler Desperado!

Das wagt Dir zu sagen: Ein Mann mit Rückgrat [6]

Eisner wurde zunehmend mit unverhohlener Aggression der Schreibenden konfrontiert, wie ein Auszug aus einem weiteren Brief belegt:

Wenn Sie nur ein stinkiger Jude wären, so möchte es noch angehen. Sie sind aber auch ein dummer Jude, ein Hysteriker, den schon nach acht Tagen der unumschränkten Gewalt der Zäsarenwahnsinn gepackt hat. Ich bin durch den Krieg um mein erspartes [sic!] von Jahrzehnten gekommen, aber für eine Flasche Sekt an dem Tage, an welchem Sie Verbrecher an dem Kranze der Bavaria baumeln werden, reicht es noch. […] Verflucht Seien Sie und Ihr ganzes Geschlecht, verflucht die Eltern die Sie zeugten, verflucht Ihre Nachkommen, verflucht jeder, der Ihnen einen Trunk Wasser reicht, wenn Sie am Zäune krepiren [sic!], verflucht jeder Bissen, den Sie geniessen, verflucht die Luft, die Sie atmen, verflucht vor allem Sie selbst. Verfaulen sollen Sie bei lebendem Leibe, wie Herodes und Ihr Name soll geschändet sein bis in alle Ewigkeit, Sie Mörder, Verräter und Schuft. [7]

Die Briefe waren dabei Vorboten des Attentates, das Eisners Leben am 21. Februar 1919 schließlich beenden sollte. Zuvor enthoben die Landtagswahlen und die Wahl zur Nationalversammlung den Ministerpräsidenten aber schließlich der Gunst der Bevölkerung, da die USPD in beiden Wahlen zu Beginn des Jahres 1919 gescheitert war. Mit dem Verlust der Wählergunst war de facto das Schicksal der Arbeiter- und Soldatenräte besiegelt. Eine neue Regierung hätte die Regierungsgeschäfte übernehmen können, um die weiteren Geschicke Bayerns zu bestimmen. In Aschaffenburg, wo die Zusammenarbeit zwischen Arbeiter- und Soldatenrat und den Instanzen der Gemeindeverwaltung bereits aufgrund der Wohnungsknappheit und unterschiedlicher Ansichten im Hinblick auf deren Bereitstellung schlechter geworden waren, litt das Ansehen des ersteren zudem zunehmend unter lokalen und überregionalen Meldungen von Räten, die ihre Stellung missbrauchten, um sich persönlich zu bereichern. In München war beispielsweise der Stadtkommandant seines Amtes enthoben worden, weil, so die Meldung des Bayerischen Courier, der 20-jährige Jude aus Friedrichshafen versucht hatte, zwei Banken um insgesamt mehr als 100.000 Mark zu berauben. [8] Doch auch an der bayerischen Peripherie selbst nutzen wohl einige die Autorität des Arbeiter- und Soldatenrates, um sich einen Vorteil zu verschaffen.

Eine offizielle Kundgebung vom 14. November 1918 nimmt bereits Stellung zu derartigen Gerüchten:

Die unsinnigsten Gerüchte, die jede Beweiskraft und Unterlage entbehren, laufen in der Stadt um. Bei Verdacht von bestehenden oder vorgekommenen Unregelmäßigkeiten wird der Arbeiter- und Soldatenrat Revisionen vornehmen, und dabei zu Tage getretene Veruntreuungen öffentlich brandmarken. Von der Einsicht der Bevölkerung wird erwartet, daß sie die bewährten städtischen und sonstigen Beamten nicht ihre jetzige schwere Arbeit durch haltlose Verdächtigungen verleitet. Die Ernährung der Bevölkerung ist gesichert. [9]

Obwohl zuvor darauf hingewiesen worden war, dass „[o]hne vollgültigen Ausweis des Arbeiter- und Soldatenrates, der die eigenhändige Unterschrift des Vorsitzenden trägt, […] niemand das Recht [hat] im Namen oder Auftrag Verfügungen oder Anordnungen zu treffen“, blieben Betrugsfälle wohl nicht aus.

[1] Stadt und Kreis Aschaffenburg, 9. Januar 1919, in: Aschaffenburger Zeitung, Nr. 6, Donnerstag, 9. Januar 1919, S. 3.

[2] Die Unabhängige Sozialdemokratie, in: Aschaffenburger Zeitung, Nr. 340, Mittwoch, 11. Dezember 1918, S. 1.

[3] Was will er nun eigentlich?, in: Aschaffenburger Zeitung, Nr. 343, Samstag, 14. Dezember 1918, S. 1.

[4] Ebd.

[5] Flugblatt: Kommilitonen! SAAA, NL 8, 17.

[6] Dem Saujuden Koschinski!, o.D., SAPMO BA, NY 4060/64, Bl.333.

[7] Brief an Kurt Eisner, o.O., o.D., SAPMO BA, NY 4060/64, Bl.382.

[8] Bilder aus der Republik: Der Münchner Stadtkommandant, in: Beobachter am Main, Nr. 294, Dienstag, 19. November 1918, S. 1

[9] Kundgebungen des Aschaffenburger Arbeiter- und Soldatenrates: Gerüchte, in: Beobachter am Main, Nr. 289, Donnerstag, 14. November 1918, S. 1.

Der folgende Textauszug stammt aus: Frank Jacob, Revolution und Räterepublik in Unterfranken, Würzburg 2019.

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