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Dossier Vinzenz Schwind

Schwindstraße (Innenstadt), benannt 1978 nach

Vinzenz Schwind (1910–1974)

Chemiker und Oberbürgermeister von Aschaffenburg (1946–1970)

  • * 12. Mai 1910 in Aschaffenburg
  • 1916–1920 Besuch der Volksschule in Aschaffenburg
  • 1920–1929 Besuch der Oberrealschule in Aschaffenburg (21. März 1929: Abitur)
  • 1929–1935 Studium der Chemie in Heidelberg (August 1934: Examen als Diplom-Chemiker sowie Anerkennung als Doktorand bei Prof. Karl Freudenberg)
  • Seit 1930 Mitglied der katholischen Studentenverbindung „Arminia Heidelberg“
  • 1935–1937 Studium in Königsberg (22. November 1937: Promotion zum Dr. rer. Nat., Dissertation zu „Ligninbestandteile des Holzes“
  • 1937–1938 immatrikuliert an der Goethe-Universität Frankfurt am Main für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
  • 1938 Heirat mit Emmy Walter
  • 1938–1939 Arbeit bei den Farbwerken Höchst (Erarbeitung eines Patents für ein „lichtechtes Grün“)
  • 1939–1941 Militärdienst bei der Luftwaffe (28. August 1939 – 30. September 1941); Luft Nachz.Reg. 12/6, Dienstgrad: Funker; Ausbilder für Physik; entlassen als Feldwebel der Reserve
  • Ca. 1941–1945 Arbeit bei den Leuna-Werken Merseburg; Entwicklung von Kunststofffasern (Perlon)
  • 1945 Leiter des Wiederaufbauamts der Stadt Aschaffenburg
  • 1946–1970 Oberbürgermeister der Stadt Aschaffenburg
  • 1952 Gründung der „Überparteilichen Einheitsliste“ (ÜP) und Austritt aus der CSU
  • 1954 Tod der Ehefrau Emmy
  • 1965 Heirat mit Eva Maria Benken
  • † 17. März 1974 in Aschaffenburg

 

Der promovierte Chemiker Vinzenz Schwind hat als Leiter des Wiederaufbauamts (1945) und besonders als Oberbürgermeister Aschaffenburgs (1946–1970) nachhaltige Spuren in seiner Heimatstadt hinterlassen.

Wirken in der NS-Zeit

Die Quellenlage zum Wirken Vinzenz Schwinds in der NS-Zeit ist eingeschränkt. Es fand sich keine Personalakte des langjährigen Oberbürgermeisters im Bestand des SSAA. Im Nachlass, der von der Familie übergeben wurde, finden sich neben der Dissertation aus dem Jahr 1937 kaum biografische Hinweise aus der Zeit (laut Herr Klotz). Entnazifizierungsdokumente sind keine tradiert (Anfragen in Würzburg und München negativ), was ein Hinweis darauf sein kann, dass er nach Auffassung der Spruchkammer nicht unter das „Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“ gefallen war und entsprechend kein weiteres Verfahren eröffnet wurde. Carsten Pollnick nennt in seinen Veröffentlichungen (Aschaffenburger Stadtoberhäupter, Aschaffenburger Straßennamen) für die von ihm zusammengestellten Informationen keine Quellen.

Vinzenz Schwind studierte zwischen 1929 und 1934 Chemie an der Universität Heidelberg.[1] Im Sommer 1934 legte er erfolgreich sein Examen als Diplom-Chemiker ab und wurde von Professor Karl Freudenberg (1886–1983) als dessen Doktorand angenommen.[2] „Wegen seiner Zugehörigkeit zu einer katholischen Studentenverbindung und als aktives Mitglied im katholischen Akademikerverband (Arminia Heidelberg) war Schwind in der NS-Studentenschaft unerwünscht, so dass er die Stadt am Neckar verließ und nach Königsberg ging (1935)“, so Carsten Pollnick.[3] In Königsberg wurde er mit einer Arbeit über Lignin-Bestandteile des Holzes 1937 promoviert. Im Wintersemester 1937/38 habe sich Vinzenz Schwind ein letztes Mal immatrikuliert, an der Frankfurter Goethe Universität für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Eine solche Immatrikulation ließ sich allerdings nicht nachweisen.[4]

Im Jahr 1938 heiratete er Emmy Walter, die mütterlicherseits aus der Aschaffenburger Herdfabrik-Dynastie Koloseus stammte, und trat als promovierter Chemiker in die Dienste der Farbwerke Höchst.[5] Hier soll Vinzenz Schwind sich „mit der Erarbeitung eines ‚lichtechten Grün‘“ beschäftigt haben. Nähere Informationen zu seinem Wirken bei den Farbwerken Höchst ließen sich nicht ermitteln.[6] Mit Kriegsbeginn wurde er zum Kriegsdienst eingezogen, zur Luftwaffe. Laut tradierter Informationen im Bundesarchiv (ehemals Akten Deutsche Dienststelle – Wehrmachtsauskunftsstelle) kam er zum Luftgau-Nachrichten-Regiment 12 in die 6. [Fernsprech-Bau-]Kompanie (Dienstgrad: Funker).[7] Laut Carsten Pollnick gelangte er als „Ausbilder in Physik“ zur Luftwaffe. Im Oktober 1941 wurde er demnach abkommandiert (im Range eines Feldwebels) zu den Leuna-Werken nach Merseburg (Sachsen-Anhalt). Im Telefonbuch der Leuna-Werke aus dem Jahr 1943 findet sich folgender Eintrag: „Schwind, Dr., Organische Abt., Gruppe II, Wohnung: Torweg 3, Leuna“.[8] Die erwähnte Gruppe II der Organischen Abteilung war im Bereich „Mersol-, Mepason- u. Mesanoll-Fabrikation, Kunststoffvorprodukte“[9] tätig. Im Telefonbuch der Leuna-Werke aus dem folgenden Jahr 1944 gibt es keinen Eintrag mehr unter dem Buchstaben „S“ zu Schwind. „Seine Hauptarbeit dort lag in der Entwicklung von Kunststoff-Fasern (Perlon)“, heißt es bei Carsten Pollnick.[10]

Die Kunstfaser Perlon (in den USA patentiert unter der Bezeichnung „Nylon“) spielte in der Kriegswirtschaft eine herausragende Rolle und wurde bis 1945 nahezu ausschließlich für militärische Zwecke verwendet.[11] Die Forschungsabteilung der IG Farben (zu der auch die Leuna-Werke gehörten) spielte eine zentrale Rolle in der Entwicklung, während des Krieges „lief die Polyamidforschung auf Hochtouren“.[12] Perlon wurde etwa für Seile, Hochdruckschläuche und die Produktion von Fallschirmen verwendet. Die erste großtechnische Anlage in Deutschland wurde 1943 in Betrieb genommen.

Über das Wirken von Vinzenz Schwind in der kriegswichtigen Industrie ließen sich über die Angaben oben hinaus keine weiteren Informationen recherchieren; Personalunterlagen fanden sich keine im Bestand zu den Leuna-Werken im LHA Sachsen-Anhalt – Abteilung Merseburg tradiert.[13] Kurz nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs gelangte Vinzenz Schwind in Aschaffenburg in den Dienst der Stadt; seine politische Karriere begann.

 

Quellen:

  • BArch, PA, S 1620/25
  • SSAA, NL 028
  • SSAA, SBZ II, Nr. 903
  • Universitätsarchiv Frankfurt am Main, Studentenakten (1914–1950)
  • Universitätsarchiv Heidelberg, Studentenakte Schwind
  • Universitätsarchiv Heidelberg, Rep.14/180
  • Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main
  • LHA Sachsen-Anhalt – Abteilung Merseburg, Bestand I 525 Leuna-Werke
  • Amtliche Frankfurter Adressbücher (1938-1943)

Literatur:

  • Böhlau, Lucas: Vinzenz Schwind [Manuskript zur „Stadtgeschichte Aschaffenburg“, 2022]
  • Gilch, Heinz: Die Erfinder von Nylon und Perlon: Wallace H. Carothers und Paul Schlack. In: Mitteilungen der Gesellschaft Deutscher Chemiker 20 (2009), S. 98–115.
  • Kemper, Joachim (Hrsg.): Stadtoberhäupter. Bürgermeister und Oberbürgermeister in Aschaffenburg. Aschaffenburg 2020. [Überarbeitete und ergänzte Neuauflage von Pollnick, Carsten: Aschaffenburger Stadtoberhäupter, 1983]
  • Pollnick, Carsten: Aschaffenburger Straßennamen. Aschaffenburg 1990.

 

  • [1] 06.05.1929, Anmeldung für das Sommersemester 1929 im Hauptfach Chemie, Universitätsarchiv Heidelberg, Studentenakte Schwind. Wiederholt bat er um „Stundung des Unterrichtsgeldes“.
  • [2] 07.08.1934, Schreiben von Karl Freudenberg an Vinzenz Schwind, Blumenstraße 39 in Heidelberg, Universitätsarchiv Heidelberg, Rep.14/180.
  • [3] Pollnick, Aschaffenburger Straßennamen, S. 91. Der beschriebene Grund für den Wechsel nach Königsberg ließ sich anhand der eingesehenen Quellen nicht verifizieren.
  • [4] Laut Auskunft des Universitätsarchivs Frankfurt gibt es in den Studentenakten (1914-1950) „keinen Hinweis auf eine Immatrikulation von Vinzenz Schwind (geb. 12.05.1910 in Aschaffenburg) an der Universität Frankfurt“, E-Mail vom 24.11.2022.
  • [5] In den amtlichen Frankfurter Adressbüchern wird er 1939-1942 in der Paul-Schwerin-Straße 16, Erdgeschoss, geführt (noch nicht 1938, nicht mehr 1943); keine Treffer in der Datenbank des Instituts für Stadtgeschichte Frankfurt; auch nicht in der dortigen Personalaktenkartei (laut Auskunft per E-Mail vom 16.12.2022).
  • [6] Kemper, Stadtoberhäupter, S. 69.
  • [7] BArch, PA, S 1620/25. Darüber hinaus sind keine relevanten Informationen tradiert.
  • [8] Telefonbuch Leuna-Werke (1943), LHA Sachsen-Anhalt – Abteilung Merseburg, Bestand I 525 Leuna-Werke. Das letzte (tradierte) Telefonbuch davor stammt aus dem Jahr 1938.
  • [9] So die Erläuterung im Telefonbuch vom 22. Juli 1944 (in dem Vinzenz Schwind nicht mehr aufgeführt ist), LHA Sachsen-Anhalt – Abteilung Merseburg, Bestand I 525 Leuna-Werke.
  • [10] Kemper, Stadtoberhäupter, S. 69, wortgleich Pollnick, Aschaffenburger Straßennamen, S. 91 f.
  • [11] Ausführlich zur Erfindung von Nylon und Perlon und den Begleitumständen siehe Gilch (Literatur).
  • [12] Gilch, S. 110.
  • [13] Weder unter den tradierten Personalstammkarten noch unter den Personalakten gab es einen Treffer zu Vinzenz Schwind; allerdings ist der Bestand I 525 Leuna-Werke noch nicht abschließend bearbeitet (Stand 19.12.2022).

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