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Dossier Ludwig Roth

Ludwig-Roth-Straße (Gailbach), benannt 1996 nach

Ludwig Roth (1897 – 1969)

Bürgermeister von Gailbach (1960 – 1965)

  • * 5. Juni 1897 in Gailbach
  • Beruf: Former
  • 1920 Erste Ehe (zwei Töchter)
  • Vorstand des St. Johanneszweigvereins in Gailbach
  • Ab 1925 Mitglied im Deutschen Reichskriegerbund (ab 1938 NS-Reichskriegerbund)
  • 1927 Bau eines Wohnhauses in Gailbach (Haus Nr. 7 ½)
  • Bis 1933 längere Zeit arbeitslos
  • 1933 – 1939 Arbeiter bei der Zellstofffabrik in Stockstadt am Main (Abteilung zur Vorbereitung der Lauge)
  • 1933 – 1945 Mitglied der NSDAP [Nr. 3151782], Stützpunkt-Kassenleiter (1934) und Blockleiter (1936)
  • 1933 – 1945 Mitglied der SA, ab 1934 als Rottenführer
  • 1933 – 1945 Mitglied der Deutschen Arbeitsfront (DAF)
  • 1934 – 1945 Mitglied der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV)
  • 1935 – 1945 Mitglied im Reichsluftschutzbund (RLB)
  • Ab 1936 Mitglied des Reichskolonialbunds (RKB, wurde 1943 aufgelöst)
  • Ab 1937 – 1945 Mitglied des Gemeinderats in Gailbach
  • 1939 – 1945 Soldat der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, Infanterie-Regiment 388 (Feldwebel), ab September 1940 Frontstalag 181 in Saumur (Oberfeldwebel)
  • 1945 Tod seiner Ehefrau bei einem Luftangriff auf Elsavabahn
  • 1945 nach Kriegsende sieben Monate im Internierungslager Hammelburg
  • 1946 Zweite Ehe (eine Tochter)
  • 1946/47 Umschulung zum Maurer beim Baugeschäft Valentin Straub in Aschaffenburg, anschl. Arbeit bei Baufirma Valentin Straub
  • 1954 Einstellung als Gemeindearbeiter (Straßenwart, Wasserwart, Friedhofswärter, Gemeindediener, Ausbesserungs- und Instandsetzungsarbeiten) der Gemeinde Gailbach
  • 1956 – 1960 2. Bürgermeister (SPD) der Gemeinde Gailbach sowie stellvertretender Standesbeamter
  • 1960 – 1965 Bürgermeister von Gailbach (Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen: Schlaganfall)
  • † 20. August 1969 in Gailbach

 

Wirken in der NS-Zeit

Ludwig Roth, Bürgermeister von Gailbach 1960 – 1965, war Mitglied der NSDAP und der SA. Eigenen Angaben zufolge erfolgte sein Parteieintritt am 23. März 1933 – dem Tag der Verabschiedung des sogenannten „Ermächtigungsgesetzes“; in den beiden tradierten NSDAP-Mitgliederkarteien findet sich – wie üblich – der 1. Mai 1933 als Eintrittsdatum gestempelt [Mitglieds-Nr. 3 151 782]. Geführt wurde Ludwig Roth als NSDAP-Mitglied der Ortsgruppe Aschaffenburg im Gau Unterfranken, nachträglich geändert in Ortgruppe Schweinheim bzw. Gau Mainfranken. Auf der Rückseite der Karte aus der NSDAP-Zentralkartei befindet sich ein Foto von Ludwig Roth in Uniform mit Hakenkreuzbinde und dem Datum 12. Juni 1936. Aus den tradierten Quellen wie aus eigenen Angaben im Entnazifizierungsverfahren geht hervor, dass Ludwig Roth die Funktion des „Stützpunkt Kassenleiters“ in der NSDAP-Ortsgruppe Aschaffenburg bekleidete. Damit war er „Berechtigt zum Tragen der Uniform eines Ogru-Amtsleiters“, wie auf der Rückseite seines „Ausweis für politische Leiter“ vermerkt; der Ausweis (handschriftlich mit dem Schriftzug „Schweinheim“ überschrieben) wurde von Oberbürgermeister und NSDAP-Kreisleiter Wilhelm Wohlgemuth am 10. April 1934 unterzeichnet, das Ausweisbild zeigt Ludwig Roth ebenfalls in Uniform. Vor der NS-Zeit gehörte Ludwig Roth offensichtlich keiner Partei an. In die SA trat er ebenfalls 1933 ein. Ab 1934 bekleidete er hier das Amt des Rottenführers.

Zudem war Ludwig Roth Mitglied weiterer NS-Organisationen, wie der Deutschen Arbeitsfront (DAF), der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV), des Reichsluftschutzbunds (RLB) und des Reichskolonialbunds (RKB). Bereits 1925 trat er dem „Deutschen Reichskriegerbund Kyffhäuser“ bei, der größten Organisation ehemaliger Soldaten in der Weimarer Republik, „die sich frühzeitig zum Nationalsozialismus bekannte und ihm damit den Weg bereitete“ (Braun/Saupe); 1938 schließlich überführt in den „Nationalsozialistischen Reichskriegerbund“.

Bis 1933 galt Ludwig Roth, gelernter Former, als arbeitslos. Er erhielt zumindest 1932 finanzielle Unterstützung, für die er in einem Gailbacher Steinbruch arbeiten musste. 1933 fand er Arbeit in der Zellstofffabrik in Stockstadt am Main, wo er bis Kriegsbeginn tätig war. Von 1937 – 1945 war er Mitglied des Gemeinderats in Gailbach.

Als Soldat des 13. Infanterieregiments 388 zog er in den Zweiten Weltkrieg. Im September 1940 wurde er zum „Frontstalag 181“ nach Saumur ins besetzte Frankreich versetzt, befördert zum Oberfeldwebel. Welche Tätigkeit er in dem französischen Kriegsgefangenenlager ausübte, das kurz zuvor, im August 1940, in den Gebäuden der Kavallerieschule eingerichtet worden war und Anfang 1942 aufgelöst wurde, ließ sich nicht ermitteln. In dem Kriegsgefangenenlager waren hauptsächlich französische Kolonialsoldaten aus Afrika und Indochina interniert. Mindestens zweimal wurde Ludwig Roth im Verlauf des Kriegs im Reservelazarett in Aschaffenburg behandelt, Ende September 1939 und im Februar 1941 (Grund hier: Scharlach, BArch, Abteilung PA, B 563-1 KARTEI / R 965 / 30).

 

Entnazifizierungsverfahren

Aufgrund seiner Angaben im Fragebogen vom 12. Juni 1946 wurde Ludwig Roth zunächst automatisch in die Klasse II der „Belasteten“ (Aktivisten) eingeordnet, da er ein Amt in der NSDAP innehatte (hier bezeichnet als „Stützpunkt Kassenleiter“). Das dürfte auch der Grund für seinen siebenmonatigen Aufenthalt im Internierungslager Hammelburg gewesen sein. Bei allen Angaben zur Dauer seiner Mitgliedschaften in NS-Organisationen vermerkte er in der betreffenden „bis“-Spalte „Gegenw[art]“ (selbst bei NSDAP und SA). Auf Frage 13. „In welche Gruppe des Gesetzes [gemeint war das „Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946“] gliedern Sie sich ein?“ antwortete er: „überlasse es der Spruchkammer“. Ludwig Roth äußerte sich am 28. September 1947 aus seiner Sicht zum Sachverhalt:

„Da gegen mich das Spruchkammerverfahren eingeleitet wurde, gebe ich folgende Erklärung dazu ab: Vor der Machtergreifung der Nazis war ich in Gailbach als Antifaschist bekannt u[nd] habe diese Partei öffentlich bekämpft, wodurch ich mich bei dem damaligen Bürgermeister Schuck, welcher im Jahre 1945 gestorben ist sehr unbeliebt gemacht. Auf allen Gebieten trat ich für die Rechte u[nd] sozialen Belange unserer Arbeiterschaft in Gailbach ein, wodurch ich immer mehr von ihnen unter Druck gesetzt wurde. Bei der letzten Reichstagswahl wo in Gailbach eine öffentliche Wahlversammlung der Nazis war trat ich zum letzten mal in der Diskussion gegen die Nazis auf u[nd] forderte in meinem Schlusswort alle Gailbacher auf nicht für Hitler u[nd] seine Konsorten zu stimmen da uns diese Gesellschaft in einen Krieg stürzen würde. Mit großer Mühe u[nd] Not hatte ich uns im Jahre 1927 ein Häuschen gebaut, wodurch ich schwer mit Schulden belastet war u[nd] dazu bald arbeitslos wurde konnte ich kaum noch die Zinsenlasten aufbringen; da meine Unterstützung mit Frau u[nd] zwei Kindern in der letzten Zeit nur noch 8 M[ark] in der Woche betrug, wofür ich zwei Tage im Gemeindesteinbruch arbeiten musste. Selbst diese kärgliche Unterstützung wollte mir eines Tages der Bürgermeister nicht mehr auszahlen. Eines Abends kam der Maurer [?] Karl Schroth zu mir in die Wohnung u[nd] teilte mir mit, daß ich in der nächsten Zeit verhaftet werden soll, er habe es heute Abend aus einer bestimmten Quelle erfahren. Schroth ist noch in Gefangenschaft, aber Herr Josef Zernetsch aus Gailbach war danach auch Mitwisser von dieser Angelegenheit. Um aus dieser Notlage herauszukommen, versuchte ich unter allen Umständen in Arbeit zu kommen, wodurch ich mit dem Direktor Rinderknecht von der Zellstofffabrik in Stockstadt in Verbindung kam, welcher mich dann in Arbeit nahm, nachdem ich mich in die Partei u[nd] SA Reitersturm aufnehmen ließ. So kam es daß ich durch meine Wirtschaftliche Notlage keinen anderen Ausweg mehr fand, als in die Partei einzutreten. Während meines Arbeitsverhältnisses in der Zellstoff Stockstatt habe ich mich mit allen politisch anders gesinnten [!] gut verstanden u[nd] keinen denunziert. Vom Anfang des Krieges bis zur Kapitulation war ich Soldat u[nd] hatte weder als Arbeiter noch als Soldat einen Nutzen für mich, sondern nur meinen einfachen Lohn u[nd] Sold. Am 19.3.1945 kam meine Frau durch Fliegerbeschuss ums Leben u[nd] ich war 7 Monate im Lager Hammelburg interniert. Ich darf annehmen daß diese beiden letzten Fälle Sühne genug für einen gewöhnlichen Arbeiter sind. Ich bitte die Kammer in meinem Verfahren den Bahnarbeiter Herrn Josef Zernetsch aus Gailbach welcher im KZ Dachau war als Zeuge in meiner Sache zu vernehmen.

Hochachtungsvoll Ludwig Roth“

Zu seiner Entlastung finden sich in der Spruchkammerakte vier Erklärungen von katholischen Geistlichen, die in Gailbach zwischen 1924 und 1941 als Ortsgeistliche (Expositus, Kuratus) tätig waren. Sie bescheinigen Ludwig Roth übereinstimmend, dass er „immer ein anständiger, fleißiger Mann und ein guter Katholik war“ – auch während der NS-Zeit. Als II. Vorstand des katholischen St. Johanneszweigvereins habe er „mit vorbildlicher Hingabe und Opferwilligkeit“ unermüdlich gedient. Außerdem habe er sich verdient gemacht um den Bau eines Anstaltsgebäudes für katholische Ordensschwestern, die dann die „Kleinkinderbewahranstalt“ und die Krankenpflege vor Ort übernahmen: „Keine Mühe und Arbeit war ihm zuviel. Dies zeigt seinen edlen sozialen Charakter und seine kirchentreue und edle religiöse Gesinnung“ (Pfarrer J[ohann] Gerhart, Steinfeld, 14. März 1946; Seelsorger in Gailbach 1924 –1931). Das Schreiben endet mit den Worten: „Daß er auch später diese Gesinnung beibehielt und nur aus Gründen der Verdienstmöglichkeit zur NSDAP ging, aber kein überzeugter Nationalsozialist war, kann man sicher behaupten.“ Der Nachfolger im Amt bestätigte Ludwig Roths Narrativ, er sei allein aus „rein wirtschaftlichen Gründen“ der Partei beigetreten („Der weltanschaulichen Seite des Nationalsozialismus stand er meines Wissens absolut fern“, Pfarrer Josef Rönnebrink, Weibersbrunn, 26. Juli 1946; Ortsgeistlicher in Gailbach 1932 – 1935). Zudem habe Ludwig Roth – gegen den Willen der NSDAP-Kreisleitung Aschaffenburg – durchgesetzt, dass der 1935/36 gebaute Kindergarten mit Schwesternhaus „nicht von NSV-Schwestern besetzt wurde“, sondern „katholischen Barmherzigen Schwestern übertragen werden konnte“ (Pfarrer Justin Wittig, Stockstadt am Main, 10. Juli 1946; Lokalkaplan in Gailbach 1935 – 1939). Zusätzlich hervorgehoben wurde, dass Ludwig Roth „die Treue seiner Kirche auch in der Kampfzeit der Partei gegen die Kirche gehalten“ habe (Kaplan Ludwig Hornung, Wiesentheid, 9. Juni 1947; Seelsorger in Gailbach 1939 – 1941; er habe zu Ludwig Roth während dessen „Soldatenzeit im Briefkontakt“ gestanden). Dem Verfasser war ebenfalls „nicht bekannt, daß Herr Ludwig Roth sich je als Nationalsozialist hervorgetan hätte.“

Zwei Schreiben von ehemaligen „Arbeitskameraden“ aus dem Jahr 1946 bestätigen Ludwig Roth, er habe sich „in keiner Weise als fanatischer Nazifreund gezeigt“ und sei nur in die NSDAP eingetreten, weil dies für seine Einstellung bei der Zellstofffabrik zur Bedingung gestellt worden sei. Einzig seine wirtschaftliche Notlage habe ihn in die Partei gezwungen („Aber langjährige Arbeitslosigkeit und Notlage seiner Familie haben diesen braven Burschen ebenfalls umgekriegt“). Verrat und Denunziation sei von ihm nicht zu befürchten gewesen („Auch diejenigen unter uns, die nicht Mitglieder der Partei waren[,] wurden von ihm stets mit gleicher Kameradschaft behandelt wie die Mitglieder der NSDAP“).

Der Gailbacher Nachkriegs-Bürgermeister Valentin Bachmann bestätigte Ludwig Roths Aussage, wonach dieser „vor der Machtübernahme ein großer Gegner des Nationalsozialismus“ gewesen sei (Schreiben vom 7. Januar 1948). Ludwig Roth habe sich öffentlich derart geäußert, weshalb er nach der Machtübernahme um seine Freiheit habe fürchten müssen und sich deshalb „auch in die Partei geflüchtet“ habe. In Gailbach sei Ludwig Roth nicht besonders in Erscheinung getreten, was Bürgermeister Bachmann folgendermaßen begründet: „Da die älteren Pgs [Parteigenossen, HK] hierorts fast lauter Verwandtschaft und Freunde untereinander waren, war er gewissermaßen ein Stiefkind innerhalb der Partei im Ortsbereich.“ Daher habe er sich auch gefallen lassen müssen, Arbeiten zu übernehmen, die andere nicht machen wollten, wie etwa Sammlungen etc.

Weder die Klageschrift der Spruchkammer noch das Urteil des Entnazifizierungsverfahrens findet sich in der Spruchkammerakte tradiert.

 

Quellen:

  • BArch, NSDAP-Mitglieder-Karteien
  • BArch, Abteilung PA, B 563-1 KARTEI / R 965 / 30
  • BArch, R 9361-II/849371
  • StAWÜ, Spruchkammer Aschaffenburg-Land 1732
  • SSAA, Gailbach Nr. 706 [Personalakte Ludwig Roth]
  • SSAA, SBZ II, 900
  • SSAA, ZAS 01, 8037 [Zeitungsausschnittsammlung]
  • <https://saumur-jadis.pagesperso-orange.fr/recit/ch47/r47d2frontstalag.htm> [letzter Abruf: 11.03.2022]

Literatur:

  • Braun, Rainer/Saupe, Lothar: Kyffhäuser-Bund der Deutschen Landeskriegerverbände/Kyffhäuserbund e.V., publiziert am 23.01.2007. In: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Kyffhäuser-Bund_der_Deutschen_Landeskriegerverbände/Kyffhäuserbund_e.V.> [letzter Abruf: 11.03.2022]
  • Gailbach. Vom Dorf zum Stadtteil im Grünen. Fotodokumentation, zusammengestellt vom Arbeitskreis Gailbacher Bildband. Aschaffenburg 2000.
  • Schulte, Benjamin: Veteranen des Ersten Weltkrieges. Der Kyffhäuserbund von 1918 bis 1933. Bielefeld 2020.

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