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Dossier Robert Koch

Kochstraße (Innenstadt), benannt 1946

Robert Koch (1843 – 1910)

Arzt und Bakteriologe, Nobelpreisträger

  • * 11. Dezember 1843 in Clausthal
  • 1848 – 1862 zunächst Privatunterricht, dann Besuch des humanistischen Gymnasiums Clausthal
  • 1862 – 1866 Studium der Medizin in Göttingen (Promotion mit Auszeichnung)
  • 1867 Heirat mit Emmy Fraatz (Tochter Gertrud *1868)
  • 1867 – 1871 ärztliche Tätigkeit in Hamburg, bei Hannover, bei Potsdam und in Rakwitz (Provinz Posen)
  • 1870/71 Freiwilliger im Deutsch-Französischen Krieg; Arbeit im Feldlazarett
  • 1872 – 1880 Kreisarzt in Wollstein (Provinz Posen, heute: Wolsztyn)
  • 1876 erstmals Nachweis der Krankheitserreger von Milzbrand; Publikation der Versuchsergebnisse
  • 1877 Anfertigung der ersten Mikroskopie-Fotos von Mikroorganismen
  • 1880 beamtete Tätigkeit am Kaiserlichen Gesundheitsamt in Berlin
  • 1882 Nachweis des Tuberkulose-Bakteriums (endgültiger Beweis der Existenz bakterieller Krankheitserreger)
  • 1883 Leitung einer Forschungsexpedition nach Indien (Erforschung der Choleraepidemie, in britischem Regierungsauftrag)
  • 1884 Nachweis des Choleraerregers
  • 1884 „Kochsche Postulate“ (Definition bakteriologischer Erregernachweise)
  • 1885 Berufung zum Professor an der Berliner Universität und Ernennung zum Leiter des Instituts für Infektionskrankheiten
  • 1890 Forschung an Tuberkulin (Mittel zur Heilung von Tuberkulose; bleibt hinter Erwartung zurück)
  • 1891 Direktor des neu gegründeten Instituts für Infektionskrankheiten (heute: Robert-Koch-Institut)
  • 1893 Scheidung und Heirat der 17-jährigen Hedwig Freiberg
  • 1896 – 1907 Forschungsreisen in Begleitung seiner Frau in die Tropen: Untersuchungen zu Entstehung und Ausbreitung der Pest, der Malaria, der Schlafkrankheit sowie der Rinderpest
  • 1904 Rückzug aus der Leitung des Instituts für Infektionskrankheiten
  • 1905 Medizin-Nobelpreis
  • 1906/07 Expedition nach Ostafrika zur Erforschung der Schlafkrankheit (Seuchenbekämpfung)
  • 1908 Weltreise (USA, Hawaii, Japan)
  • † 27. Mai 1910 in Baden-Baden

 

Ehrungen:

  • 1882 Kaiserlicher Geheimer Regierungsrat
  • 1890 Großkreuz des Roten Adlerordens
  • 1904 Mitgliedschaft in Preußischer Akademie der Wissenschaften
  • 1905 Nobelpreis für Medizin
  • 1906 Orden Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste
  • 1906 Wilhelmsorden
  • 1907 Kaiserlicher Wirklicher Geheimer Rat mit dem Prädikat „Excellenz“
  • 1909 Bayerischer Maximiliansorden für Wissenschaft und Kunst
  • Namensgeber für zahlreiche Straßen, Plätze, Parks und Schulen; dazu Robert-Koch-Institut (RKI)

„Im 19. Jahrhundert waren Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, Cholera, Diphtherie oder Wundinfektionen die Haupttodesursache weltweit. Allein in Deutschland starben daran jedes Jahr hunderttausende Menschen. Der Arzt Robert Koch entdeckte damals, dass Krankheiten wie diese durch winzige Organismen, durch Bakterien, verursacht werden. Ihm und seinen Weggefährten in Berlin ist es gelungen, Infektionserreger und Ansteckungswege gezielt zu identifizieren und so den Weg für Therapien und Präventionsmaßnahmen zu ebnen. Ermöglicht wurde all dies durch neue wissenschaftliche Methoden, mit denen sich die Erreger nicht nur aufspüren, sondern auch sichtbar machen ließen, etwa feste Nährböden zur Anzucht von Bakterien, Mikrofotografie und Färbetechniken. 1891 wurde Koch Direktor des neu gegründeten Königlich Preußischen Instituts für Infektionskrankheiten, dem heutigen Robert Koch-Institut. 1905 erhielt er für die Entdeckung der Tuberkulose-Bazillen den Nobelpreis für Medizin. Zusammen mit Louis Pasteur gilt Robert Koch heute als Wegbereiter der Mikrobiologie.“[1]

Menschenversuche im Zeitalter des Kolonialismus

Die herausragenden wissenschaftlichen Leistungen Robert Kochs bilden die Grundlage für diverse Ehrungen, darunter zahlreiche Straßenbenennungen, wie 1946 in Aschaffenburg.

Neben allem (berechtigten) Ruhm hat die medizin-historische Forschung bereits vor einigen Jahren auf ein „dunkles Kapitel“ in der (wissenschaftlichen) Biografie des Nobelpreisträgers hingewiesen: Seine Forschung zur Schlafkrankheit in Ostafrika in den Jahren 1906 und 1907 und deren Folgen. Besonders die Publikationen der beiden Professoren für die Geschichte der Medizin, Wolfgang U. Eckart und Christoph Gradmann wären hier zu nennen, auf deren veröffentlichte Forschungen sich die folgenden Erläuterungen stützen.[2] Der fiktional-biografische Roman „Robert Kochs Affe“ des Mediziners Michael Lichtwarck-Aschoff hat 2021 die weniger (aber keineswegs un-) bekannten Seiten der Koch’schen Forschungen an kolonialen Seuchenherden in den öffentlichen Fokus gerückt – zumindest in Form von Besprechungen in großen deutschen Tageszeitungen. Zu der Präsenz in den Medien dürften der Publikation auch Parallelen zu Corona-Maßnahmen verholfen haben; zudem war das Robert Koch-Institut (RKI) als zentrale Einrichtung der Bundesregierung auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und -prävention zu der Zeit täglich in der Öffentlichkeit präsent. Eben dieses RKI schreibt auf seiner Website zur Biografie seines Namensgebers:

„1906 und 1907 wurde eine Kommission unter Kochs Leitung nach Ostafrika entsandt, um Therapiemöglichkeiten gegen die Schlafkrankheit auszuloten. Durch den Einsatz von Atoxyl, einer arsenhaltigen Arznei, konnte Koch anfangs Erfolge bei der Behandlung von Schlafkranken erzielen. Doch der Parasit, der die Infektion verursacht, ließ sich im Blut der Kranken nur für eine kurze Zeit zurückdrängen. Daraufhin verdoppelte Koch die Atoxyl-Dosis – obwohl er um die Risiken des Mittels wusste. Bei vielen Betroffenen kam es zu Schmerzen und Koliken, manche erblindeten sogar. Trotzdem blieb Koch vom prinzipiellen Nutzen des Atoxyls überzeugt. Seine letzte Forschungsreise war das dunkelste Kapitel seiner Laufbahn.“[3]

In einer Kolumne kritisierte der Mediziner und Publizist Bernd Hontschik scharf, „der andere Robert Koch“, eben nicht „der strahlende Held am deutschen Wirtschaftsfirmament“, werde bis heute verschwiegen: „Das Robert-Koch-Institut bezeichnet Kochs Gräueltaten auf seiner Homepage als ein ‚dunkles Kapitel‘. Verharmlosender geht es nicht für diese Medizin ohne Menschlichkeit.“[4] Robert Koch sei nicht nur ein gefeierter Wissenschaftler gewesen, sondern auch ein „mörderischer Kolonialist“: „Sein Anteil an den Verbrechen der Kolonialzeit scheint einer Amnesie anheim gefallen zu sein, wird beschönigt oder verleugnet.“ Zum „Weiterlesen“ wird auf das Buch von Michael Lichtwarck-Aschoff verwiesen – das, wie erwähnt, fiktional-biografisch ist; das also basierend auf der Biografie Robert Kochs eine fiktive Handlung konstruiert. Die Publikation wird für die folgende Skizzierung der Expedition entsprechend nicht zu Rate gezogen. In einem Gastbeitrag für den „Spiegel“ hatte der Historiker und Afrikawissenschaftler Jürgen Zimmerer, Professor für Globalgeschichte an der Universität Hamburg, bereits 2020 die Ehrwürdigkeit von Robert Koch aufgrund seiner Forschungen zur Schlafkrankheit zur Diskussion gestellt:

„Es wäre an der Zeit, sich mit dem kolonialen Erbe auseinanderzusetzen, das sich hinter der Person und dem Namen Robert Koch verbirgt. Gerade heute, gerade angesichts der Corona-Pandemie ist die Balance zwischen individuellen Rechten und Zwang zum Schutze der Allgemeinheit, die Frage, wer das Allgemeinwohl definiert, aktueller denn je. Ist der Name Robert Koch für das 21. Jahrhundert noch geeignet? Kann er wirklich als Leitbild dienen, hat er die Ehre verdient, Namensgeber eines so wichtigen Instituts zu sein?“[5]

In einem Deutschlandfunk-Interview forderte Jürgen Zimmerer die Umbenennung des Robert Koch-Instituts, woran sich eine Debatte um die Frage anschloss, ob Robert Koch heute noch als Leitbild dienen könne (siehe unten).

Bei der Schlafkrankheit handelt es sich „um eine heimtückische, unbehandelt immer tödlich verlaufende Krankheit, deren Erreger, das Trypanosoma Gambiense, durch den Stich blutsaugender Tsetsefliegen auf den Menschen übertragen wird, dort schwerste neurologische Ausfallerscheinungen verursacht“[6] und unter anhaltenden Schlafzuständen zu Bewusstlosigkeit und schließlich zum Tod führt. Christoph Gradmann schildert die Vorgeschichte der Expedition nach Ostafrika ausführlich: Robert Koch war eigentlich gar nicht als Expeditionsleiter vorgesehen; die Zielsetzung der Expedition verschob sich immer mehr hin zur praktischen Seuchenbekämpfung (und damit weg von primär parasitologischen Fragen der Protozoologie). Robert Koch hatte sich bereits im Sommer 1905 in Ostafrika mit der Trypanosomen-Forschung beschäftigt. Im April 1906 startete dann die Expedition, mit einem Aufenthalt in der Forschungsstation Amani (Deutsch-Ostafrika). Schneller als gedacht zog das kleine Team um Robert Koch weiter auf die Ssese-Inseln im Viktoriasee, zu der Zeit Britisch-Uganda: Auf den Inseln hatte sich die Schlafkrankheit in endemischer Form verbreitet – und einen Großteil der ursprünglich etwa 30.000 Bewohnerinnen und Bewohner „dahingerafft“, wie es heißt.

Robert Koch experimentierte auf Ssese mit dem arsenhaltigen Präparat Atoxyl (Arsanilsäure), das er aus Deutschland mitgebracht hatte. Der therapeutische Einsatz von Atoxyl zeichnete anfangs eindrucksvolle Ergebnisse. Nach einigen Wochen der Anwendung war Robert Koch der Ansicht, mit Atoxyl über ein Mittel zu verfügen, „das ein ähnliches Spezifikum gegen die Schlafkrankheit zu sein scheint, wie das Chinin gegen die Malaria“. Es schien sich für den massenhaften Einsatz zu bewähren; die Expedition schien ein voller Erfolg zu werden. Noch im Dezember 1906 veröffentlichte er Zwischenberichte in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift, die Anerkennung in der Öffentlichkeit fanden. Nach seiner Rückkehr aus Ostafrika wurde Robert Koch ähnlich gefeiert wie 1884; es folgte die Ernennung zum „Kaiserlichen Wirklichen Geheimen Rat“ mit der Erlaubnis, sich als „Exzellenz“ titulieren zu lassen.

In der Folge stellte sich allerdings heraus, dass die Atoxylbehandlungen mit einer einigermaßen vertretbaren Dosis nur zu einem zeitweisen Verschwinden der Trypanosomen aus dem Körper der Behandelten führte. „Koch zog hieraus einen Schluss, der für die Patienten fatale Folgen haben sollte und den er in einem Schreiben an den Präsidenten des KGA [Kaiserliches Gesundheitsamt, HK] vom 18. Februar 1907 formulierte, dass nämlich ‚die Kranken viel länger und vielleicht auch intensiver behandelt werden müssen‘.“[7] Robert Koch verdoppelte die Dosis von 0,5 auf bis zu 1 Gramm täglich. Die Injektionen schlugen gut an. Allerdings waren die höheren Dosen für die Patienten schmerzhaft, riefen Schwindelgefühle, Übelkeit und Koliken hervor. Es traten zudem Fälle von Erblindung auf, die Koch anfangs als vorübergehende Begleiterscheinungen deutete, die sich aber als dauerhaft erwiesen. In der Literatur wird die Verabreichung solch hoher Dosen als „leichtfertig“ eingeschätzt, da entsprechende Warnungen vor Erblindung im Zusammenhang mit Atoxylbehandlungen bekannt waren und Robert Koch ausdrücklich auf diese Gefahr hingewiesen worden sei.

In den auf den Ssese-Inseln eingerichteten Krankenlagern entzogen sich die Patienten wegen der auftretenden Begleiterscheinungen zunehmend der Behandlung, obwohl infolge der aufgetretenen Erblindungen zur Verabreichung geringerer Dosen zurückgekehrt wurde. Robert Koch hatte keine Möglichkeit, die Kranken zum Bleiben zu zwingen (die Inseln gehörten zu Britisch-Uganda). Basierend auf den Forschungserfahrungen formulierte Robert Koch Präventions- und Therapieempfehlungen für die deutschen Kolonialgebiete. Er empfahl Reihenuntersuchungen und die Einrichtung von Schlafkrankheitsbekämpfungslagern. Dabei orientierte er sich an den „Concentration Camps, wie sie die Engländer nennen“[8], die zunächst für Buren (als politische Gegner), später auch zur Isolation Infektiöser eingesetzt wurden. „Hier sollten die Kranken auch gegen ihren Willen interniert und mit Atoxyl behandelt werden.“[9] Zwei solcher Lager wurden noch im Verlaufe der Expedition in Kisiba und Shirati am Viktoria-See eingerichtet (also auf deutschem Kolonialgebiet), wie Robert Koch in seinem Abschlussbericht erwähnte. In diesen Lagern stand nicht die Heilung der Patienten im Vordergrund, sondern die Seuchenbekämpfung. Die (bekannte) toxische Wirkung der Chemotherapeutika wurde in Kauf genommen. Neben der Identifizierung und Internierung der Erkrankten formulierte Robert Koch in einem mündlichen Bericht im November 1907 noch eine weitere Möglichkeit: Man könne

„dazu übergehen, die ganze Bevölkerung verseuchter Bezirke in gesunde Gegenden zu versetzen; die infizierten Individuen würden dann, da die Sterblichkeit ohne Behandlung eine absolute sei, ausnahmslos zugrunde gehen, damit werde dann die Seuche erlöschen, […] es sei aber fraglich, ob diese sehr eingreifende Maßregel, die natürlich große Härten im Gefolge hat, sich in der Praxis durchführen ließ.“[10]

Erheblich „schonender“ und „leichter durchzuführen“ sei die erwähnte Konzentration und Isolierung der Kranken in entsprechenden Lagern. Als dritte Maßnahme schlug Robert Koch vor, in gefährdeten Gebieten radikale Abholzungen der Waldbestände vorzunehmen.

Die rezipierten Experten ordnen das „dunkle Kapitel“ in Robert Kochs Biografie wie folgt ein:

„Auch wenn man die Historizität ethischer Maßstäbe in Rechnung stellt, war Kochs Vorgehen auf Sese [sic!] problematisch. Er sah sich in dem später veröffentlichten ausführlichen Expeditionsbericht auch genötigt, sein Vorgehen zu rechtfertigen. ‚Wenn hier von Versuchen an Kranken die Rede ist, dann darf dabei nicht vergessen werden, daß dieselben an einer absolut tödlichen Krankheit litten und unrettbar verloren waren, wenn nicht ein Heilmittel gefunden wurde.‘ Eine Anwendung einer (unwirksamen) Therapie rechtfertigte so therapeutische Forschung auf Kosten des Patientenwohls, wie sie zu dieser Zeit in Deutschland kaum noch durchführbar gewesen wäre. […] Es wird auch deutlich, dass Koch, indem er der Seuchenbekämpfung den Vorzug vor der Therapie gab, den ideologischen Rahmen der kolonialen Menschenökonomie für sich akzeptierte. Wie er betonte, lag der Wert der von ihm konzipierten Kampagne nicht in der Heilung Einzelner, sondern darin, den Kolonialherren die Arbeitskraft der Bevölkerung als Ganzer zu erhalten.“[11]

Untermauert werde eine derartige Interpretation, so Christoph Gradmann weiter, durch die Aktivitäten der Expedition bis in den Herbst 1907 hinein: Die Suche nach Chemotherapeutika gegen die Schlafkrankheit an den verbliebenen Kranken wurde intensiv weiter betrieben, wenngleich sich auch andere Präparate als überaus giftig erwiesen und eine Anwendung beim Menschen nicht empfehlenswert war. Darauf verweist auch Wolfgang U. Eckhart:

„Als Erfolg kann die Schlafkrankheitsexpedition Kochs wohl kaum gewertet werden. Die Ermittlung einer dauerhaft wirksamen Chemotherapie war nicht gelungen, stattdessen hatte sich die Toxizität oder Verabreichungsproblematik mit Injektionsschmerzen und unerwünschten Begleiterscheinungen der ‚geprüften‘ Wirkstoffe klar herausgestellt. Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass Koch in seinen Schlussfolgerungen auf alte polizeiliche Isolierungsmaßnahmen und sogar auf ökologische Interventionen umschwenkte. Wenig erklärlich ist allerdings sein Festhalten an der problematischen Atoxyl-Therapie. Insgesamt hatte sich die Vorstellung, die Schlafkrankheit ähnlich wie Malaria mit einem Medikament therapieren und ihr gleichzeitig vorbeugen zu können, als Fehleinschätzung erwiesen.“[12]

Auf die Empfehlungen von Robert Koch hin wurden Schlafkrankenlager eingerichtet und dort Kranke behandelt – mit geringem Erfolg und auf Kosten der Behandelten. In den deutschen Kolonien wurden unterschiedliche Methoden angewendet. In Togo etwa versuchte eine eigens eingesetzte Schlafkrankheitskommission die Behandlung aller Schlafkranken in „Konzentrationslagern“ mit äußerster Härte und gegen den Widerstand der Erkrankten durchzusetzen. Wie viele Patientinnen und Patienten in den Lagern und Stationen in Deutsch-Ostafrika der Seuche erlegen waren – oder aber an den Nebenwirkungen der Therapie starben –, lässt sich anhand der erstellten Statistiken kaum aufschlüsseln.[13] Die Aussage von Bernd Hontschik, Robert Koch „nahm mit seinen Injektionen tausendfache Erblindung billigend in Kauf, jedes Zehnte seiner Opfer verstarb – an den Menschenversuchen und an der Lagerhaft“[14], ist anhand der Quellen nicht zu belegen.

Jürgen Zimmerer machte in seinem Beitrag deutlich, dass Robert Koch in afrikanischen Kolonien skrupellos handelte:

„Mit Atoxyl Behandelte konnten die Krankheit nicht weitergeben. Leiden und Siechtum nahm der Wissenschaftler dabei zumindest in Kauf. […] In eine ähnliche Richtung zielte sein Vorschlag, Konzentrationslager zur Isolierung von Erkrankten einzurichten. Um Ausbrüche frühzeitig beherrschbar zu machen, sollten ganze Dörfer in Lagern isoliert werden, auch gegen ihren Willen. Da die Krankheit ohne Behandlung tödlich verlaufe, so Kochs Überlegungen, würden nach einer bestimmten Zeit nur die Gesunden übrig bleiben und könnten dann zurückkehren. Die Ausbreitung wäre gestoppt, die afrikanische Arbeitskraft für die Kolonialherren geschützt. Das Robert Koch-Institut führt auf seiner Internetseite leider bis heute nicht genauer aus, was genau es zum ‚dunkelsten Kapitel‘ in Kochs Leben rechnet. Ist es das zwangsweise Testen von Medikamenten ohne Einwilligung und gegen den Willen der Erkrankten? Ist es die utilitaristische bis zynische Herangehensweise, kranke Menschen zu isolieren und ihrem Schicksal zu überlassen, um die Arbeitskräfte der anderen und die (koloniale) Wirtschaft zu erhalten? Oder die Tatsache, dass Koch wissentlich und freudig die Chancen ausnutzte, die ihm die koloniale Situation mit ihrem extremen Machtungleichgewicht bot?“[15]

Wie erwähnt plädierte Jürgen Zimmerer für eine Umbenennung des Robert Koch-Instituts und begründete dies mit den tiefen Verstrickungen des Medizinpioniers in den Kolonialismus. [16] Christoph Gradmann widersprach im Deutschlandfunk Kultur dieser Ansicht:

„Es ist keine Frage, dass Robert Kochs Forschungen über Schlafkrankheit in Ostafrika nach unseren heutigen medizinethischen Maßstäben und auch nach unseren politischen Maßstäben zu beanstanden sind. Denn er hat dort therapeutische Experimente durchgeführt, sehr zum Schaden der Patienten.“

Allerdings sei dies, so Gradmann, „nach den Maßstäben seiner eigenen Zeit“ nicht ungewöhnlich gewesen; in Sachen Vorbildfunktion müsse man „den ganzen Robert Koch in den Blick nehmen und nicht nur den Schlafforscher“. Danach ist für den Medizinhistoriker klar: „Das Robert Koch-Institut hat genau den richtigen Namen.“[17] Auch der Kulturwissenschaftler Thomas Macho, Direktor des Internationalen Forschungszentrums Kulturwissenschaften in Wien, schaltete sich in die Debatte ein. Er machte darauf aufmerksam, dass die Diskussion um eine eventuelle Umbenennung wichtig sei, „vielleicht wichtiger als die Umbenennung selbst“. Zudem wies der emeritierte Professor für Kulturgeschichte darauf hin, Robert Koch habe sich

„im kolonialgeschichtlichen Kontext in Ostafrika eben nicht vorbildlich verhalten, hat Dinge getan, die man eben nicht nur aus dem geschichtlichen Kontext erklären kann: Rassismus bleibt Rassismus, ob man den vor 100 Jahren oder eben vorgestern als Haltung austrägt.“[18]

 

Anmerkungen

Laut „Mitteilungsblatt der Stadt Aschaffenburg vom 21.9.46“[19] wurde die „Schlageterstraße“ in der Nachkriegszeit umbenannt in „Dr.-Robert-Koch-Straße (nach dem berühmten Arzt und Bakteriologen)“; später wurde daraus die „Kochstraße“.

 

Quellen:

  • SSAA, SBZ II, 905

Literatur:

  • Eckart, Wolfgang U.: Medizin und Kolonialimperialismus. Deutschland 1884 – 1945. Paderborn et al. 1997.
  • Eckart, Wolfgang U.: Die Kolonie des Laboratoriums. Schafkrankheitsbekämpfung und Humanexperimente in den deutschen Kolonien Togo und Kamerun, 1908 – 1914. In: Griesecke, Birgit et al. (Hrsg.): Kulturgeschichte des Menschenversuchs im 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main 2009, S. 199 – 227.
  • Gradmann, Christoph: Krankheit im Labor. Robert Koch und die medizinische Bakteriologie. Göttingen 2005.
  • Isobe, Hiroyuki: Medizin und Kolonialgesellschaft. Die Bekämpfung der Schlafkrankheit in den deutschen „Schutzgebieten“ vor dem Ersten Weltkrieg. Berlin et al. 2009.
  • Lichtwarck-Aschoff, Michael: Robert Kochs Affe. Der grandiose Irrtum des berühmten Seuchenarztes. Stuttgart 2021.
  • Zimmerer, Jürgen: Der berühmte Forscher und die Menschenexperimente. In: Der Spiegel, 27. Mai 2020.

 

  • [1] https://www.rki.de/DE/Content/Institut/Geschichte/Robert_Koch.html [letzter Abruf: 22.06.2022].
  • [2] Siehe „Literatur“; der genannte Beitrag von Christoph Gradmann, seit 2006 Professor für Geschichte der Medizin in Oslo, entspricht der Publikation seiner Habilitationsschrift.
  • [3] https://www.rki.de/DE/Content/Institut/Geschichte/Robert_Koch.html [Abruf: 20.06.2022].
  • [4] Hontschik, Bernd: Medizin ohne Menschlichkeit: Robert Koch – gefeierter Wissenschaftler, mörderischer Kolonist. In: FR vom 06.02.2022.
  • [5] Zimmerer, Jürgen: Der berühmte Forscher und die Menschenexperimente. In: Der Spiegel, 27. Mai 2020.
  • [6] Eckart 1997, S. 161.
  • [7] Zitiert nach Gradmann, S. 326.
  • [8] Mitteilungen über den Verlauf und die Ergebnisse der vom Reich zur Erforschung der Schlafkrankheit nach Ostafrika entsandten Expedition, mündlicher Bericht auf der Sitzung des Reichsgesundheitsrates vom 18. November 1907, zitiert nach Eckhart 1997, S. 345.
  • [9] Gradmann, S. 329.
  • [10] Erneut zitiert nach Eckhart 1997, S. 345.
  • [11] Gradmann, S. 329 f.
  • [12] Eckhart 1997, S. 344 f.
  • [13] Eckhart 1997, S. 349; Eckhart 2009; zu den unterschiedlichen Methoden und deren Begründungen sowie zu den Schwierigkeiten mit den zeitgenössischen Statistiken auch die Dissertation von Hiroyuki Isobe.
  • [14] Hontschik, Bernd: Medizin ohne Menschlichkeit: Robert Koch – gefeierter Wissenschaftler, mörderischer Kolonist. In: FR vom 06.02.2022.
  • [15] Zimmerer, Jürgen: Der berühmte Forscher und die Menschenexperimente. In: Der Spiegel, 27. Mai 2020.
  • [16] https://www.deutschlandfunkkultur.de/historiker-juergen-zimmerer-ueber-robert-koch-man-muss-das-100.html [letzter Abruf: 21.06.2022].
  • [17] https://www.deutschlandfunkkultur.de/diskussion-zur-umbenennung-des-rki-das-robert-koch-institut-100.html [letzter Abruf: 21.06.2022].
  • [18] https://www.deutschlandfunkkultur.de/thomas-macho-zur-diskussion-um-robert-koch-rassismus-bleibt-100.html [letzter Abruf: 21.06.2022].
  • [19] SSAA, SBZ II, 905.

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