Schepplerweg (Innenstadt), benannt 1957 nach
Paul Rudolf Scheppler (1883 – 1950)
Jurist, „Aschaffenburg und das Kurmainzer Recht“ (posthum veröffentlicht 1973) (Umwidmung der Straße im Jahr 2024)
- * 28. Februar 1883 in Aschaffenburg
- 1889 – 1892 Besuch der Volksschule in Aschaffenburg
- 1893 – 1902 Besuch des Humanistischen Gymnasiums in Aschaffenburg
- 1902 – 1906 Studium der Rechtswissenschaft, Geschichte und Staatswissenschaft in Würzburg und München
- 1909 Promotion zum Dr. jur. et rer. Pol
- 1910 juristisches Staatsexamen in München
- 1911 Rechtsanwalt in München
- 1912 – 1919 Königlich-Bayerischer Amtsanwalt am Amtsgericht Reichenhall
- 1914 Heirat mit Hedwig Stangl
- 1914 – 1918 Kriegsdienst als Frontoffizier (Frankreich und Belgien), 1915 befördert zum Oberleutnant
- 1919 – 1922 Amtsrichter (Amtsgerichtsrat) am Amtsgericht Dorfen bei Mühldorf/Inn
- 1920 Mitglied des Deutschnationalen Volksvereins München (Ortsgruppe der bayerischen Mittelpartei)
- 1922 – 1930 Amtsrichter am Amtsgericht München
- 1926 – 1930 Vorsitzender des Landesverbands der bayerischen Amtsrichter
- 1928 – 1933 Teil des Vorstands des bayerischen Richtervereins
- 1930 – 1945 Richter am Landgericht München I, zunächst als Landgerichtsrat, 1935 befördert zum Direktor
- 1933 Veröffentlichungen „Richter und Nationalsozialismus“ (Deutsche Richterzeitung) und „Die Auflösung des bayerischen Richtervereins“ (Völkischer Beobachter)
- 1933 – 1935 Mitglied der SA
- 1933 – 1945 Mitglied der NSDAP [Nr. 3 214 964]
- 1933 – 1945 Mitglied im Bund nationalsozialistischer Deutscher Juristen (BNSDJ) bzw. NS-Rechtswahrerbund (NSRB), darin zeitweise stellvertretender Ortsgruppenleiter, Gaupressewart 1934 – 1935, Ehrenrichter 1936 – 1937
- 1933 – 1945 Mitglied des RLB
- 1934 – 1945 Mitglied der NSV sowie des Reichsbunds der Deutschen Beamten
- 1936 Dienstfahrt mit Referendaren nach Danzig
- 1938 – 1945 Mitglied des NS Altherrenbunds
- 1939 ältester Sohn Wolfgang stirbt im Krieg
- 1939 – 1940 Kriegsgerichtsrat, Feldgericht des komm. Generals und Befehlshabers im Luftgau 7
- 1945 juristische Hilfskraft bei Rechtsanwalt Hein Mayer, München
- 1947 Antrag auf Ruhestandsversetzung
- † 27. März 1950 in München
Ehrungen:
- Auszeichnungen vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg: Bayerische Prinzregent Luitpold Medaille (1911), Eisernes Kreuz II. Klasse (1914), Bayerischer Militär Verdienstorden IV mit Schwertern (1915), Eisernes Kreuz I. Klasse (1917), Kriegsdenkmünze 1914/18 des Kyffhäuser Bunds mit Schlachtenspangen (Lothringen, Arras, Somme, Flandern)
Wirken vor 1933
Der in Aschaffenburg geborene und aufgewachsene Jurist Paul Rudolf Scheppler war 1922 als Amtsrichter nach München berufen worden, wo er ab 1930 (zum Landgerichtsrat ernannt) am Landgericht München I als Richter tätig war (BArch, R 3001/73920). Er hatte bereits Teile seiner Studienzeit in der bayerischen Hauptstadt verbracht und hier vor dem Ersten Weltkrieg zunächst als Rechtsanwalt gearbeitet. Seit 1914 war Paul Scheppler verheiratet mit Hedwig Stangl, das Ehepaar hatte zwei Söhne (1918 – 1939 und *1919). Am Ersten Weltkrieg nahm er als Frontoffizier teil und erhielt dafür mehrere Auszeichnungen. Seiner Heimatstadt Aschaffenburg blieb Paul Scheppler Zeit seines Lebens verbunden; er veröffentlichte zahlreiche Beiträge zu lokalhistorischen Themen und zu seiner Familiengeschichte.
Wirken in der NS-Zeit
Das berufliche Wirken und die Mitgliedschaften Paul Schepplers in NS-Organisationen lassen sich anhand von unterschiedlichen Quellen aus verschiedenen Archivbeständen rekonstruieren, darunter Personalakten und politische Beurteilungen aus der NS-Zeit sowie die außerordentlich umfangreichen Entnazifizierungsakten, darunter auch Teile aus seinem Nachlass im SSAA. Bemerkenswert ist die in der Klageschrift der Spruchkammer III München vom 10. Januar 1947 beantragte Einreihung Paul Schepplers in die Gruppe 1 der „Hauptschuldigen“ (!) aufgrund nachweisbarer Ämter in NS-Organisationen.
Paul Scheppler trat im Frühjahr 1933 der NSDAP bei (Mitglieds-Nr. 3 214 964, Ortsgruppe München, Eintritt datiert auf 01.05.1933) und im Oktober 1933 der SA (aufgrund seines fortgeschrittenen Alters Eingruppierung in die SA-Reserve, Sturm 8/RS). Auf eigenen Wunsch trat er im Oktober 1935 aus der SA aus. Er war Mitglied der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV), des Reichsluftschutzbunds (RLB) und des NS-Altherrenbunds der Deutschen Studenten.
Als Beamter war er organisiert im Reichsbund Deutscher Beamter (RDB), als Jurist im Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen (BNSDJ), der 1936 in NS-Rechtswahrerbund (NSRB) umbenannt wurde. Eine Organisation im NSRB war nicht verpflichtend; die fehlende Mitgliedschaft konnte jedoch als Mangel an nationalsozialistischer Gesinnung ausgelegt werden. Paul Scheppler war allerdings nicht nur einfaches Mitglied des BNSDJ bzw. des NSRB, sondern war zeitweise stellvertretender Ortsgruppenleiter, Pressereferent bzw. Gaupressewart (1934 – 1935), Referent für Referendarschulung im Gaustab des BNSDJ sowie Vorsitzender des Gauehrengerichts (1936 – 1937). In einem Gesuch auf Beförderung vom 9. Oktober 1934 gab Paul Scheppler seine derzeitigen Ämter an und ordnete seine Einstellung zum Nationalsozialismus ein:
„Es war mir auch selbstverständlich, dass ich mich sofort in die NSDAP förmlich aufnehmen ließe, als dies für einen Strafrichter eben möglich wurde, dass ich ferner auch auf eine Anregung von befreundeter Seite ‚um ein Beispiel für die jüngeren Richter zu geben‘, mich als alter Soldat in die aktive SA aufnehmen ließ, der ich auch heute noch im Reservesturm angehöre. Auf meine gehobene Stellung im Richterverein habe ich neidlos verzichtet. Es war mir aber doch eine Anerkennung für meine frühere Tätigkeit, dass ich ganz ohne mein Zutun zuerst zum st[ellvertretenden] Leiter der Ortsgruppe III des BNSDJ u[nd] am 15.9.34 zum Gaupressewart ernannt worden bin. Ich habe das letztere Amt trotz meiner schon fortgeschrittenen Jahre u[nd] sonstigen vielen Arbeit im Interesse der Rechtsfront übernommen u[nd] unterziehe mich derzeit der gewiss nicht geringen Arbeit der pressemäßigen Vorbereitung und Durchführung der Münchner Gautagung“ (BArch, R 3001/73920).
Auf eigenen Wunsch hin wurde er im März 1935 vom Amt des Pressereferenten entbunden – „und mit sofortiger Wirkung in den Gaustab“ berufen. Als besonderes Tätigkeitsgebiet bekam er hier die Referendarschulung zugewiesen.
Außerdem war Paul Scheppler maßgeblich beteiligt an der Überführung des bayerischen Richtervereins, dessen langjähriges Vorstandsmitglied er war, in den BNSDJ. In dem zitierten Schreiben von Oktober 1934 beschrieb er, wie er auf einer Vorstandssitzung im März 1933 für eine rasche Eingliederung des Richtervereins in die nationalsozialistische Bewegung warb, seine Anträge aber zunächst keinerlei Unterstützung erhielten:
„Als ich mich dann am Schluss erhob u[nd] mit längeren Darlegungen u[nd] begeisternden Worten den Antrag stellte, der Richterverein möge sich sofort der deutschen Freiheitsbewegung anschließen, begegnete ich eisigem Schweigen u[nd] dann der Ablehnung. […] Diese Tatsachen brachten mich zu der Überzeugung, dass die Zeit des Richtervereins abgelaufen sei. Ich arbeitete nun zusammen mit dem jetzigen OberRegRat im Jus[tiz] Min[isterium] Dr. Strauss u[nd] dem Ob[er] Staatsanwalt Sprick an der Überführung des Richtervereins in den BNSDJ.“
Seinen „nicht geringen Einfluss insbesondere bei den jüngeren Kollegen“ habe er aufgeboten, um die – keineswegs selbstverständliche – geordnete Eingliederung der Richter in den BNSDJ durchzuführen. Der Liquidation des bayerischen Richtervereins widmete er auch einen Beitrag im Völkischen Beobachter. Über das Verhältnis von „Richter und Nationalsozialismus“ verfasste er bereits 1933 einen Aufsatz in der Deutschen Richterzeitung. In Wortwahl und Duktus ist der Beitrag verhältnismäßig neutral gehalten (im Gegensatz zu einem komplementär im Heft veröffentlichten, inhaltlich wie sprachlich ganz in der NS-Ideologie verhafteten Aufsatz eines Kollegen zum gleichen Thema). Als Richter sah sich Paul Scheppler auch dem NS-Regime gegenüber in der Verantwortung:
„Der Richter ist Diener der Allgemeinheit und Hüter der Gesetze. Es ist selbstverständlich, daß er den Staat, dessen Gesetze er anwendet, so wie er jeweils besteht, ohne Einschränkung anerkennt. Denn es ist seine Aufgabe, die Autorität zu stützen, das Ansehen der Gesetze zu wahren und Gehorsam und Hingabe an den Staat zu fördern. Der Richter wird daher dem neuen deutschen Staat mit allen Kräften dienen“ (Richter und Nationalsozialismus [II.]. In: Deutsche Richterzeitung 25 [1933], S. 131).
Die angestrebte Beförderung zum Landgerichtsdirektor am Landgericht München I erfolgte Ende 1935. Seit Oktober 1934 bekleidete Paul Scheppler dort auch das (neue) Amt des „Leiters der Referendargemeinschaften“. Er widmete sich der Betreuung junger Kollegen, mit denen er auch Bildungsfahrten nach Danzig und Königsberg unternahm. In dem zitierten Gesuch um Beförderung vom Oktober 1934 nannte er unter der Überschrift „Nebenämter“ eine weitere Funktion, die er zusätzlich zu seiner richterlichen Tätigkeit ausübte: „Trotz dieser vielen dienstlichen Arbeit war ich ständig noch anderweitig tätig. So gehöre ich dem Sondergericht seit seiner Errichtung als Beisitzer an.“
Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs war Paul Scheppler einige Monate als Kriegsgerichtsrat im Dienst der Luftwaffe tätig (Feldgericht des kommandierenden Generals und Befehlshabers im Luftgau VII, offiziell tradierter Zeitraum: 26.08.1939 bis 05.02.1940). Er kehrte anschließend an das Landgericht München zurück. Über seine Tätigkeit als Kriegsgerichtsrat ließen sich darüber hinaus keine Informationen ermitteln.
In tradierten dienstlichen wie politischen Beurteilungen stand seine fachliche Qualifikation außer Frage. „Seine Fähigkeiten überragen den Durchschnitt; er faßt rasch auf; sein Urteil ist sicher und treffend“, heißt es etwa in der „Dienstlichen Beurteilung“ vom 29. November 1933, die mit folgender abschließenden Beurteilung endet: „Er eignet sich zur Beförderung auf jede Richterstelle der Besoldungsgruppe A 2 auch an sehr großen Gerichten, insbesondere in München. Dr. Scheppler bietet die Gewähr dafür, daß er jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintritt“ (BArch, R 3001/73920).
Im Februar 1942 ergingen aus dem Gaupersonalamt der NSDAP (München-Oberbayern) streng vertrauliche Anfragen zur politischen Beurteilung von Richter Paul Scheppler an unterschiedliche Stellen (BArch, R 9361-II/1085878). Es ging darin um die „politische Haltung der Richter in Beförderungsstellen“, um deren „politische Zuverlässigkeit“. Seitens des angefragten Gaurechtsamts sowie des Gauamts für Beamte der NSDAP ergingen positive Beurteilungen. Hervorgehoben wurden in den standardisierten Fragebögen Paul Schepplers Ämter im NSRB (auch wenn sie noch zu Zeiten des BNSDJ ausgeübt wurden). Verwiesen wurde auch auf den „Vorsitz des Gauehrengerichts“, den er demnach vom 01.02.1936 bis 10.06.1937 inne hatte, ohne näher darauf einzugehen. Seit 13.03.1936 sei Paul Scheppler zudem „Referent für Referendarschulung im Gaustab“. Unter dem abschließenden „Ausführlichen Gesamturteil“ des Gaurechtsamts heißt es:
„In allen seinen dienstlichen Verwendungen hat er sich bestens bewährt. Gewandtheit, bestimmtes Auftreten, sichere Verhandlungsführung und gewinnende Umgangsformen zeichnen ihn aus. Sein Charakter ist aufrichtig und offen. Als Leiter der Referendararbeitsgemeinschaften hat er sich jederzeit bestens bewährt, insbesondere war er stets darauf bedacht, den Jungjuristen nat. soz. Ideengut einzuprägen. In politischer Hinsicht sind in seine Zuverlässigkeit keine Zweifel zu setzen. Für den Fernstehenden macht Sch[eppler] einen etwas abweisenden und reservierten Eindruck. Gleichwohl ist er ein durchaus mitfühlender und sozial denkender Mensch. Sch[eppler] verdient wohl eine weitere Förderung“ (07.04.1942, Gaurechtsamt der NSDAP, Gauamtsleiter Helm, BArch, R 9361-II/1085878).
Zu einer anderen Einschätzung kam der angefragte Leiter der NSDAP-Ortsgruppe Siegestor. „Nach der Anschauung des zuständigen Zellenleiters kein Parteigenosse mit dem Herzen, mehr Karteigenosse, aus Opportunitätsgründen“, heißt es hier. Paul Scheppler sei unzugänglich, eine „freudige, freiwillige Mitarbeit“ in der Ortsgruppe sei keineswegs gewährleistet und er sei zudem ein „schlechter Spender bei Sammlungen“. Handschriftlich wurde von Ortsgruppenleiter August Mayer ergänzt: „[…] ich möchte dringend raten, den Mann nicht zu hoch kommen zu lassen“ (Hervorhebung im Original). Daraufhin ergingen entsprechende Nachfragen an die Gauämter, die sich lobend über die politische Einstellung von Paul Scheppler geäußert hatten. Diese sahen keinen Anlass, ihre Beurteilungen „in irgendeiner Weise zu ändern“.
Tradiert findet sich in den Akten des Bundesarchivs auch die von Paul Scheppler handschriftlich ausgefüllte „Parteistatistische Erhebung 1939“. Darin gab er seine Mitgliedschaft in der NSDAP sowie in der SA (1933 – 1935) an, ebenfalls die oben genannten Mitgliedschaften in den weiteren NS-Organisationen. Ein Amt in der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen gab er jedoch nicht an; der zweiseitige Bogen ist unterschrieben, aber nicht datiert; abgefragt wurden nur aktuell ausgeführte Ämter und politische Leitungsfunktionen (BArch, R 9361-II/1085878).
Entnazifizierungsverfahren
Die tradierte Spruchkammerakte im Staatsarchiv München umfasst weit über 200 Seiten (StA München, SpkA K 1597). Ergänzt wird dieser Bestand durch umfangreiches tradiertes Material aus Paul Schepplers Nachlass (SSAA, NL 130, 10), darunter auch Durchschläge von Eingaben und Briefen, die die Informationslage nochmals erweitern. In mehreren ausführlichen Schreiben gab Richter Scheppler in der Nachkriegszeit Auskunft über sein Verhältnis zum Nationalsozialismus. Ein erstes zehnseitiges Statement („Verteidigungsschrift in eigener Sache“) datiert auf den 25. Oktober 1945, also ein halbes Jahr vor dem Ausfüllen des Meldebogens im Rahmen des Entnazifizierungsverfahrens am 26. April 1946. Mit den Ausführungen wollte er einer „möglicherweise geplante[n] Nichtwiederverwendung meiner Person als Richter“ entgegenwirken. Einleitend heißt es darin:
„Aus den nachstehenden Darlegungen geht hervor, dass ich weder in der NSDAP noch in einer der angeschlossenen Organisationen jemals aktiv tätig gewesen bin. Es geht weiter daraus hervor, dass ich durch meine Parteizugehörigkeit zwar viele Unannehmlichkeiten aber keine Vorteile hatte, dass ich mich innerlich sehr bald von der Partei abwandte u[nd] in meinem Machtbereich ungerechten Massnahmen der Partei entsprechenden Widerstand entgegengesetzt habe. Ich habe in dieser Richtung mehr getan als manch Anderer, der sich zwar weise der Partei ferne hielt, aber schweigend sich beugte u[nd] heute stolz als ‚unbelasteter Mann‘ sein Haupt erhebt.“
Im Folgenden äußerte sich Paul Scheppler zu seinem Eintritt in NSDAP und SA sowie zu seinen Mitgliedschaften in weiteren NS-Organisationen. Er legte Wert darauf, nie aktiv tätig gewesen zu sein und berichtete von Konflikten mit dem NSDAP-Ortsgruppenleiter Mayer. Des Weiteren nannte er Beispiele dafür, Juden aktiv geholfen und in seiner Tätigkeit als Richter Gegner des Regimes unterstützt sowie sich gegen den Einfluss der Partei gewappnet zu haben (Sachverhalte und erinnerte Wortlaute von Gesprächen lassen sich teilweise nicht verifizieren). Die ihm angebotene Übernahme einer Abteilung des Sondergerichts habe er 1943 abgelehnt, wiederholt Kritik am Regime geübt und während des Kriegs „viel persönliches Unglück“ erlitten, darunter der Tod seines ältesten Sohnes.
Als Vorwurf gelten lassen könne er einzig, nicht aus der NSDAP formell ausgetreten zu sein – auch wenn er sich von der Partei schnell innerlich distanziert habe (da er ab 1. Juli 1944 keine Beiträge mehr gezahlt habe, habe er „nach internen Vorschriften […] als aus der Partei ausgetreten“ gegolten, so seine Argumentation, Seite 3). Er nannte den Konflikt mit Ortsgruppenleiter Mayer als Beleg für seine Distanz zur Partei. Zu den Gründen für seinen Eintritt in die NSDAP erläuterte er unter anderem:
„Ich hielt Hitler für das Werkzeug der Vorsehung um den Parteihader zu beenden, den 5 ½ Mill. Arbeitslosen wieder Brot zu verschaffen, durch Versöhnung der Arbeiterschaft mit dem Staat den drohenden Kommunismus zu verhindern u[nd] das gequälte u[nd] zerrissene deutsche Volk in friedlicher Arbeit zu den Quellen seines wahren Wesens zurückzuführen. […] Aus Begeisterung u[nd] um meinem Volk zu nützen, trat ich daher unter dem Eindruck des Staatsaktes in der Potsdamer Garnisonskirche u[nd] des vom Reichstag bewilligten Ermächtigungsgesetzes unter Zurückstellung mancher Bedenken spontan am 1. Mai 33 der Partei bei. Schon wenige Jahre später hätte ich es nicht mehr getan.“
Unter der Überschrift „Beim Rechtswahrerbund“ erwähnte er seine Aufgaben als „Ehrenrichter“:
„In den Rechtswahrerbund kam ich durch meine vorhergehende Tätigkeit als Schriftführer des bay. Richtervereins (29.9.33). Hier war ich vom 1.5.36 bis 10.6.37 Ehrenrichter für den Gau Oberbayern. Als solcher habe ich eine Sache durch Vergleich erledigt, glaublich 2 Verweise erteilt, die meisten Sachen wegen Geringfügigkeit eingestellt u[nd] das Amt wegen Differenzen mit der Berliner Leitung schließlich freiwillig niedergelegt.“
Er bat abschließend um eine „gerechte Entscheidung“ – so, wie er selbst in seiner 40-jährigen Dienstzeit stets mit „heiligem Ernst Alles geprüft u[nd] nach bestem Können“ Entscheidungen gefällt habe.
In der Klageschrift der Spruchkammer III München vom 10. Januar 1947 wurde Paul Scheppler in die Gruppe I (Hauptschuldige) eingereiht. Zur Begründung hieß es:
„Als Pressereferent des Gaues München – Obb. und Referent für Referendarschulung im Gaustab fällt der Betroffene unter die Anlage zum Befreiungsgesetz Teil A: F/I Ziff. 8 und damit in die Gruppe der Hauptschuldigen. Das Amt eines Vorsitzenden des BNSDJ (Bund nationalsozialistischer Deutscher Juristen) sowie die Mitgliedschaft der NSDAP seit 1933 bedingen […] die Einstufung in die Klasse II der Verantwortlichen. Aus den Personalakten ist ersichtlich, dass der Betroffene maßgeblich an der Liquidation des Bayerischen Richtervereins und seiner Überführung in den BNSDJ beteiligt war. Seine ‚fruchtbringende‘ Tätigkeit als stellvertretender Ortsgruppenleiter des BNSDJ und Gau-Pressereferent fand höchste Anerkennung durch die vorgesetzte Parteistelle.“
Bereits am 15. Januar 1947 richtete sich Paul Scheppler mit seinen Einwendungen zur Klageschrift an die zuständige Spruchkammer. In dem sechsseitigen Dokument widerspricht er vehement den Darstellungen in der Klageschrift. Als belastet könne überhaupt nur gelten, wer in einem konkreten Fall „nach seiner individuellen Verantwortlichkeit und tatsächlichen Gesamthaltung […] die Gewaltherrschaft der NSDAP wesentlich gefördert“ habe. Im genannten Schreiben legte er ausführlich dar, warum das in seinem Falle nicht zum Tragen kommen könne, und gelangte zu dem Schluss: „Meine Einstufung in die Gruppe der ‚Hauptschuldigen‘ ist rechtlich u[nd] sachlich unhaltbar. Sie beruht auf Missverständnis der gesetzlichen Vorschriften und Unkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse.“
In seiner Argumentation berief er sich darauf, keinen Rang im Sinne des Gesetzes inne gehabt zu haben. Darüber hinaus müsste ein Hauptschuldiger furchtbare Verbrechen begangen haben. „Der Ankläger kann aber gar nichts vorbringen, weil nicht das Geringste vorliegt. Deswegen allein, weil in den Akten steht, dass ich Pressewart war, bin ich doch kein Verbrecher oder gar ein Hauptschuldiger. Oder meint dies der Herr Ankläger vielleicht wirklich im Ernst???“
In den Ausführungen äußerte er sich auch zu seiner Rolle bei der Liquidation des bayerischen Richtervereins:
„Die Liquidation der Richtervereine wurde durch den ‚Deutschen Richterbund‘ in Leipzig beschlossen. Ich war als Vertreter des bay[erischen] RV anwesend u[nd] sprach als Einziger dagegen. Es entstand dadurch für mich eine unangenehme Situation, die nur durch das Eingreifen des damaligen Vorsitzenden des DRB […] geglättet werden konnte. Damit war auch die Liquidation des bay[erischen] RV nicht mehr aufzuhalten.“
Tatsächlich sei er zu einem der drei „Liquidatoren“ gewählt worden; seine Tätigkeit habe allerdings lediglich in einer formalen Unterschrift bestanden.
Als Zeugen und Sachverständige, die seine Angaben bestätigen könnten, benannte Paul Scheppler den Bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Hans Erhard, den stellvertretenden Minister der Justiz Dr. Anton Konrad sowie den Präsidenten des Oberlandesgerichts München Dr. Friedrich Welsch. Paul Scheppler forderte abschließend seine vollständige Entlastung. Noch am gleichen Tag, dem 15. Januar 1947, erteilte er dem Münchner Rechtsanwalt Dr. Karl Durst die Vollmacht darüber, ihn im „Bereinigungsverfahren“ zu vertreten.
Am 23. Januar 1947 wandte sich Karl Durst mit einem sechsseitigen Schreiben an die Spruchkammer. Wie sein Mandant hielt der Rechtsanwalt die Anschuldigungen der Klageschrift für haltlos. Als „Pressereferent“ des NSRB habe Paul Scheppler keineswegs den Rang eines Abteilungsleiters innegehabt (was für die Einstufung eine formale Voraussetzung gewesen wäre); weder als Gaupressewart noch als stellvertretender Ortsgruppenleiter oder Referent für Referendarschulung habe sein Mandant eine aktive Unterstützung des Nationalsozialismus bzw. eine Förderung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ausgeübt. Das Gauehrengericht falle unter keines der im Gesetz genannten Gerichte, weshalb die Tätigkeit seines Mandanten diesbezüglich rein formal keine Rolle spielen dürfe – zumal ihm auch hier keine aktive Unterstützung des NS nachweisbar sei. Hinsichtlich der Liquidation des bayerischen Richtervereins folgte der Anwalt den Ausführungen seines Mandanten (in der Nachkriegsversion). Seine Ablehnung der Übernahme des Sondergerichts in München und die nicht erfolgte Ernennung zum Landgerichtspräsidenten in Deggendorf belegten, dass Paul Scheppler sich von der NSDAP abgewandt, ja als politisch unzuverlässig gegolten habe. Für alle Sachverhalte sind Zeugen benannt; über 20 eidesstattliche Erklärungen von unterschiedlichen Personen aus dem Umfeld von Paul Scheppler, darunter mehrere Kollegen aus dem Bereich der Justiz, liegen der Akte bei. Sein Mandant – der sich zu Beginn des Verfahrens selbst noch als Mitläufer eingestuft hatte – müsse als Entlasteter angesehen werden. Und Karl Durst ging noch einen Schritt weiter:
„Der Betroffene hat nach dem Maß seiner Kräfte Widerstand geleistet. Er tat dies einmal durch Ablehnung der Übernahme des Vorsitzes im Sondergericht, er tat dies weiter durch seine aktive Hilfe für rassisch Verfolgte. Die entsprechenden Beweise [sind] im vorstehenden Schriftsatz aufgeführt. Er hat aber durch diesen aktiven Widerstand auch tatsächlich Schaden erlitten, indem er nicht, wie ihm zugesichert, Landgerichtspräsident geworden ist.“
Die „aktive Hilfe für rassisch Verfolgte“ bezog sich insbesondere auf die Unterstützung von Dr. Karl Oskar Brink, dem Paul Scheppler eine „erhebliche Geldsumme“ gegeben haben soll, um diesem die Flucht mit dessen Vater, einem jüdischen Rechtsanwalt, nach England zu ermöglichen. Eidesstattliche Zeugenaussagen bestätigen das. Paul Scheppler hatte Dr. Brink im Dezember 1946 persönlich angeschrieben und ihn um eine Bestätigung des Sachverhalts gebeten:
„Es wäre für mich von Nutzen, wenn Sie mir eine ‚Eidesstattliche Erklärung‘ des Inhalts zukommen lassen liessen, dass ich, als Sie 1938 mit Ihrem Vater nach England flüchteten, ich Ihnen mit einer grösseren Geldsumme aushalf u[nd] es auf diese Weise mitermöglichte, dass Sie sich rechtzeitig den üblen Verfolgungen entziehen konnten. Wenn Sie sonst noch ein Urteil über mich beifügen wollen, wird es mir recht sein.“
Paul Scheppler erhielt auf seine Anfrage jedoch keine Antwort, wie handschriftlich nachträglich auf dem Durchschlag des Briefes vermerkt ist (SSAA, NL 130, 10).
Ministerpräsident Hans Erhard und der Präsident des Oberlandesgerichts München Friedrich Welsch lieferten hingegen schriftliche eidesstattliche Erklärungen. Darin bezeugen sie, dass Paul Scheppler „in den ersten Jahren des Naziregimes ein Anhänger des Nationalsozialismus“ war (Welsch) bzw. „sich von der neuen Bewegung einen nationalen, wirtschaftlichen und kulturellen Aufstieg [erhoffte]. In Übereinstimmung mit weiten Kreisen des In- Und Auslandes vertrat auch er die Auffassung, man müsse sich unbedingt zu einer positiven Mitarbeit bereit finden, um die guten Kräfte des Nationalsozialismus zu stärken“ (Erhard über Scheppler). Beide bringen dann – in Übereinstimmung mit den Aussagen von Paul Scheppler – zum Ausdruck, dass er sich „in seinen Erwartungen schon bald schwer enttäuscht“ sah (Erhard) bzw. „immer ablehnender gegenüber der Naziideologie“ wurde und sich „schliesslich völlig davon abgewendet“ habe (Welsch). Seine „Gesinnungsänderung“ habe er Ihnen jeweils in persönlichen Gesprächen vorgetragen; „propagandistische oder aktivistische Betätigungen“ hätten sie keine wahrgenommen. Ministerialdirektor Anton Konrad bestätigte als Sachverständiger, dass es seiner Erinnerung nach im Gaustab überhaupt kein Amt für Referendarschulung gegeben habe, wie aus der Urteilsbegründung der Spruchkammer München hervorgeht.
Die Spruchkammer folgte in ihrem Urteil, das sie auf vier Seiten ausführlich begründete, weitgehend den Ausführungen des Betroffenen und seines Anwalts: Mit rechtskräftigem Spruchkammerentscheid vom 1. März 1947 wurde der Landgerichtsdirektor Dr. Paul Scheppler in die Gruppe IV (Mitläufer) eingereiht und mit einer Sühne von 2.000, – RM (zuzüglich 603, – RM Verfahrenskosten) belegt. Auf Antrag des Betroffenen wurde eine Ratenzahlung (200, – RM monatlich) bewilligt. In der umfangreichen Begründung werden die eidesstattlichen Erklärungen von Ministerpräsident Hans Erhard und Oberlandesgerichtspräsident Friedrich Welsch ausführlich zitiert. Auch hinsichtlich der Überführung des bayerischen Richtervereins in den BNSDJ schenkt die Spruchkammer „angesichts der offensichtlichen Wahrheitsliebe des Betroffenen und mangels jedes positiven Beweises in gegenteiliger Richtung vollen Glauben“:
„Die Liquidation des bayr[ischen] Richtervereins erscheint der Spruchkammer als eine allgemeine, machtpolitische nationalsozialistische Massnahme beim Machtantritt zum Zwecke der Gleichschaltung aller früheren Beamten-Organisationen, die dem Betroffenen, der diese Massnahmen nicht einmal gebilligt oder gefördert hat, nicht als Belastung zugerechnet werden kann.“
„Rechtserheblich“ blieb einzig der Eintritt von Paul Scheppler in die NSDAP. Mit der Entscheidung der Spruchkammer verbanden sich „keine Bedenken gegen die Wiedereinstellung des Betroffenen bei seiner Dienststelle“ (Bescheinigung vom 22.04.1947, StA München, SpkA K 1597). Paul Scheppler stellte allerdings einen Antrag auf Versetzung in den Ruhestand, aus gesundheitlichen Gründen. Laut Attest vom 12. August 1947 litt er „an Entartung der Blutgefäße (Arteriosklerose)“ (SSAA, NL 130, 10). Er sollte nicht mehr in den Justizdienst zurückkehren.
Quellen:
- BArch, R 3001/73920
- BArch, R 9361-II/1085878
- BArch, PA, Altsign. 04755 011
- StA München, SpkA K 1597
- BayHStA München, Offizierspersonalakten 2498
- SSAA, NL 130, 10
- SSAA, ZAS 01, 4469
Literatur:
- Fischer, Willibald: Dr. Paul Scheppler. In: Aschaffenburger Jahrbuch 1 (1945/51), S. 280 – 282.
- Pollnick, Carsten: Aschaffenburger Straßennamen. Aschaffenburg 1990.
- Ponnath, Heinz: Der Bayerische Richterverein im Jahre 1933. In: Deutsche Richterzeitung 2007, S. 150.
- Scheppler, Paul Rudolf: Aschaffenburg vor 100 Jahren. Aus der Zeit und dem Leben des Aschaffenburger Kaufmannes und Magistratsrates Franz Josef Scheppler (1795 – 1858). In: Aschaffenburger Geschichtsblätter 31 (1939) Nr. 2 – 5.
- Scheppler, Paul: Richter und Nationalsozialismus (II.). In: Deutsche Richterzeitung 25 (1933), S. 131.
- Scheppler, Paul: Die Beschränkung der Rechtsmittel und des Umfangs der Beweisaufnahme im Strafprozeß. In: Deutsche Richterzeitung 25 (1933), S. 74 f.
- Sunnus, Michael: Der NS-Rechtswahrerbund (1928 – 1945). Zur Geschichte der nationalsozialistischen Juristenorganisation. Frankfurt am Main et al. 1990.
Als Grund für die Namensgeberschaft Paul Schepplers ist im Aschaffenburger Adressbuch merkwürdigerweise genannt:
Schepplerweg: (1957) nach dem aus einer kurmainzischen Beamtenfamilie stammenden Landgerichtsdirektor und Aschaffenburger Heimatforscher Dr. Paul Scheppler (1883 – 1950)