Ich (Jahrgang 1953) verbrachte die Jugend in meinem Elternhaus in der oberen Ludwigsallee, einer damals nur mit wenigen Häusern bebauten Gegend, nahe dem Godelsberg, mit aus meiner damaligen Sicht vielen geheimnisvollen und interessanten Flecken, die es für mich als neugierigem Bub galt zu entdecken und heute sich an diese Zeit wieder einmal zu erinnern.
So auch an den nur einen Steinwurf entfernt liegenden „Sauer’schen“ Bauernhof mit der seinerzeitigen Gaststätte „Zur Ludwigshöhe“. Dieser Bauernhof war direkt gegenüber der in einem kleinen Wäldchen stehenden „Ludwigssäule“ an der oberen Ludwigsallee. Dieses Anwesen mit der direkt unterhalb angrenzenden sog. „Sauerswiese“ hin zur Riemenschneiderstr. war, da etwas tiefergelegen, nur über einen unbefestigten Weg zu erreichen. Schon Mitte/Ende der 1960-er Jahre hatte dieser Hof mit seiner damals noch bewirtschafteten Gaststätte seine besten Jahre bereits hinter sich. Ein morbider, aber uriger Charme machten ihn interessant! Er war bewohnt und wurde bewirtschaftet von der Kreszens Sauer und ihren beiden Schwestern Josefine und Katharina sowie ihren beiden Brüdern Jakob und Willy(?). Während sich die Schwestern unter „Führung“ der Kreszenz primär um die Gaststätte kümmerten, waren die beiden Brüder für den Bauernhof zuständig.
Einer meiner damaligen Spiel-/Schulkameraden wohnte zu dieser Zeit mit seinen Eltern im Dachgeschoß des mehrstöckigen Wohnhauses der Sauer´s. Daher war ich damals sehr oft dort und hatte so auch Zugang zu dem Hof mit seinen Nebengebäuden und Stallungen. Erinnern kann ich mich dabei insbesondere an den jüngsten Bruder der Kreszenz, den Jakob, der das Vieh, also 1 – 2 Kühe, 1 Pferd, Schweine, Hühner und Enten versorgte. Er war stark gehbehindert – er trug an einem Bein eine Prothese. Da er uns Buben nicht verfolgen konnte, trieben wir oft unseren Schabernack mit ihm und ärgerten ihn.
Die Kreszens, wie sie einfach von jedem genannt wurde, war die „Patronin“ des Anwesens. Gerade im Winter waren wir sehr oft in der Küche, die immer wohlig warm war. Es war eine sehr große Küche. Sie war wohl so etwas wie der Mittelpunkt im Anwesen. Alle Bewohner kamen hier immer wieder zusammen – zum Essen, zum Reden, aber auch zum lautstarken Gezänke oder einfach nur zum Ausruhen auf einer großen Eckbank mit einem riesigen bestuhlten Tisch. Denn ein großer, gusseiserner, holzbefeuerte Herd sorgte hier knisternd und duftend für eine einfach unvergessliche heimelige Atmosphäre. Vor allem in der kalten Zeit roch es dabei dort nach vielerlei Gebäck und nach deftigen Gerichten. Die Kreszens wuselte dort stets geschäftig und schlurfte meistens nur in dicken Socken an ihren Füssen in „ihrer“ Küche umher – versorgte ihre zahlreichen Katzen, ihre Geschwister, ihre Gäste in der Wirtsstube und oft auch uns Buben. Denn die dem Anwesen vorgelagerte Sauerswiese, die damals noch unbebaut war, nutzten wir im Winter, die damals durchaus noch sehr schneereich waren, als unsere „Hausrodelbahn“. Dabei rodelten wir stets „bäuchlings“ oder auch mit unserem zweisitzigen Holz-Bob (Holzlenkschlitten) von der gegenüber auf einer Anhöhe stehenden Ludwigssäule über die damals kaum befahrene Ludwigsallee (das Klinikum existierte ja noch nicht) auf die abschüssige Sauerswiese ein. Durchnässt und durchgefroren, gab es dann nichts tolleres, als zur Kreszens in die warme und einfach urgemütliche Küche zu kommen und stets etwas aufwärmendes zum Trinken und auch ein kräftiges Vesper zu bekommen. Erinnern kann ich mich noch sehr gut an die riesigen Wurst- und Marmeladebrote sowie den „Handkäse mit Musik“ – es war schließlich noch alles selbstgemacht – auch das Brot wurde noch selbstgebacken! Ein heißer Apfelwein war für uns ebenfalls stets drin – denn Apfelwein wurde seinerzeit eher nicht als Alkohol angesehen! Sogar eine Flasche Bier der früheren Bavaria-Brauerei konnten wir ab und zu für ein paar Pfennige von der Kreszens bekommen.
Gerade im Winter waren auch immer etliche Gäste in der Wirtsstube, denn auch sie wurde mit einem kleinen Holzofen mit offenliegendem Abzugsrohr kräftig eingeheizt. Die Gaststube war damals schon sehr alt und schlicht eingerichtet mit klassischen, abgewetzten Biertischen und Stühlen. Die stets knarrenden Fußbodendielen unterstrichen dabei das Gefühl sich hier in einer aus der königlich bayerischen Zeit übriggebliebenen Wirtstube zu befinden. Ob damals vielleicht noch das Portrait eines bayerischen Königs in der Stube hing und wohlwollend auf die Nachfahren seiner Untertanen blickte – vielleicht – aber ich weiß es zumindest nicht mehr!
Nachzutragen wäre noch, dass das Wohnhaus vor einigen Jahren aufwändig wieder hergerichtet wurde!
K.M. 2020