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Dossier Ernst Streun

Ernst-Streun-Platz (Nilkheim), benannt 2015 nach

Ernst Streun (1899 – 1964)

Lebensmittelhändler, „Bürgermeister von Nilkheim“, Stadtrat (1956 – 1960)

  • * 3. April 1899 in Aschaffenburg
  • Besuch der Volksschule in Aschaffenburg
  • Kaufmannslehre in Aschaffenburg
  • 1917/18 Soldat im Ersten Weltkrieg
  • Ca. 1919 Mitglied des Kampfgenossenvereins Aschaffenburg, der 1938 in den NS-Reichskriegerbund eingegliedert wurde
  • 1920 Eröffnung eines eigenen Lebensmittelgeschäfts in Aschaffenburg (Sandgasse 42), seither als selbständiger Lebensmittelhändler tätig
  • 1925 Mitglied der Marianischen Männersolidarität Aschaffenburg
  • 1926 Mitbegründer des Kirchenchors „Unserer Lieben Frau“
  • Bis 1933 aktives Mitglied im Gesangsverein „Eintracht“ sowie Mitglied des Vorstands
  • 1934 – 1945 Mitglied der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV)
  • 1934 – 1945 Mitglied des Reichsluftschutzbunds (RLS), Untergruppenführer 1936 – 1939
  • 1935 Bau eines Eigenheims in der Siedlung Nilkheim
  • 1935 Eröffnung des ersten Gemischtwarenladens in Nilkheim, den er bis zu seinem Tod betrieb
  • 1935 – 1945 Mitglied der Deutschen Arbeitsfront (DAF)
  • 1936 Teilnahme an einem Lehrgang für Heeresverpflegungsbeamte
  • 1937 – 1945 Mitglied der NSDAP [Mitglieds-Nr. 5 198 100]
  • 1939 – 1945 Wehrmachtsbeamter bei der Heeresverwaltung (Heeres-Verpflegungsamt Altenburg), Zahlmeister, 1938 Oberzahlmeister, 1945 Stabsintendant der Reserve
  • 1945 Sohn in letzten Kriegstagen „gefallen“
  • 1945 nach Kriegsgefangenschaft Wiedereröffnung des eigenen Ladens in Nilkheim
  • 1945/46 – 1963 Vorsitzender des Lebensmittel-Einzelhandelsverbands in Aschaffenburg
  • 1946 Vertreter Bayerns im „Kartenplanungs- und Rationierungsausschuss“ bei der Militärregierung
  • Delegierter beim Landesverband des Bayerischen Einzelhandels; Mitglied der Vollversammlung der IHK
  • 1948 Mitglied der Einkaufsgenossenschaft Aschaffenburg (EGA)
  • 1950 Mitglied im Aufsichtsrat der EGA (zeitweise stellvertretender Vorsitzender)
  • 1953 – 1961 Kirchenpfleger (Kilianskirche) der selbständigen Pfarrei Nilkheim; Verwaltung des Kindergartens bis zu seinem Tod 1964; gilt als maßgeblich beteiligt am Bau der katholischen Kirche und des Kindergartens in Nilkheim
  • 1956 – 1960 Mitglied der CSU-Fraktion im Stadtrat Aschaffenburg (als erster Nilkheimer)
  • † 5. November 1964 in Aschaffenburg

Ehrungen:

  • 1945 Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes II. Klasse
  • 1961 Verleihung des von Papst Leo XXXIII. gestifteten Ehrenkreuzes „Pro Ecclesia et Pontifice“

Der Geschäftsmann Ernst Streun galt zu Lebzeiten als „Bürgermeister von Nilkheim“. In der Berichterstattung nach seinem unerwarteten Tod 1964 wurde er als prominentester Nilkheimer und gleichzeitig als einer der bekanntesten Aschaffenburger bezeichnet, als ein Mann mit „Bürgersinn und Bürgerverantwortung“ (Main Echo, 07.11.1964), der sich als Stadtrat (1956 – 1960) auch kommunalpolitisch für die Belange der Nilkheimer eingesetzt habe. Bereits im Jahr 1920, im Alter von 21 Jahren, hatte der gelernte Kaufmann in der Sandstraße 42 sein erstes Lebensmittelgeschäft in seiner Heimatstadt Aschaffenburg gegründet. 1935 baute er in Nilkheim (damals „Großostheimer Siedlung“) ein Haus und eröffnete den ersten Lebensmittelladen der Siedlung (Großostheimerstraße 189). Für sein Engagement für eine Pfarrstelle in Nilkheim, rund um den Bau der katholischen Kirche St. Kilian sowie den katholischen Kindergarten in Nilkheim und seinen Dienst an der katholischen Gemeinde in den 1950er Jahren erhielt er 1961 das Ehrenkreuz „Pro Ecclesia et Pontifice“ verliehen.

Wirken in der NS-Zeit

Die Informationen zum Wirken von Ernst Streun während der NS-Zeit basieren weitgehend auf den Angaben in seiner Entnazifizierungsakte (StAWü, Spruchkammer Aschaffenburg-Stadt 2290). Als Teilnehmer des Ersten Weltkriegs war er Mitglied des Kampfgenossenvereins Aschaffenburg, der (vermutlich 1938) in den NS-Reichskriegerbund eingegliedert wurde. Vereinsabende habe er jedoch nur vor der „Nazizeit“ besucht. Ernst Streun betonte in seinem „politischen Lebenslauf“ (01.07.1947) seine tiefe katholische Verwurzelung, die er auch zwischen 1933 und 1945 nie verleugnet habe. „Aus innerer Überzeugung“ war er 1925 der Marianischen Männersolidarität beigetreten, habe auch in der NS-Zeit an Karfreitagsprozessionen teilgenommen, sein 1935 erbautes Haus mit einer Grotte und dem Bildnis der Gottesmutter geschmückt, war „standhaft und unerschrocken, treu katholisch“. Dafür seien er und seine Familie – er war verheiratet, hatte zwei Töchter und einen Sohn – „ständig argwöhnisch beobachtet“ worden. In seinen Ausführungen stellt er selbst die Frage „Wie konnte es möglich sein[,] dass ich Mitglied der NSDAP wurde?“:

„Bald nach der Machtergreifung durch die Nazipartei wurde ich von der Polizei namentlich aufgefordert, als Blockwart im Luftschutz mitzuwirken. Überall wurden brauchbare Männer bald zu der Einen, bald zu der Anderen Sache aufgefordert und so habe ich, wenn auch nicht gerade gerne, im Luftschutz ab 1934 Dienst gemacht [1936 – 1939 als Untergruppenführer, HK]. Der DAF bin ich nach Aufforderung mit einem Monatsbeitrag von Mk. 1,20 beigetreten und habe diesen Beitrag auch nie erhöht. Im Jahr 1935 konnte ich der NSV nicht mehr entgehen. Mit diesen Mitgliedschaften konnte ich mich bis zum Jahr 1937 ganz gut tarnen, und konnte mich von allen sonstigen Forderungen der damaligen Zeit drücken.“ Probleme bereiteten ihm seine katholische Gesinnung: „Man hat hier nur von dem schwarzen Betbruder gesprochen […]. Auch einen nationalen Schuft hat man mich einmal genannt. Die Luft wurde täglich dicker. Das Jahr 1937 brachte eine große Werbeaktion der NSDAP. Auch mir hat man die Beitrittserklärung wiederholt vorgelegt. Ich habe mich nicht sofort entschließen können[,] den Zettel zu unterschreiben. Erst nachdem der Zellenwalter wiederholt bei mir vorgesprochen hatte, gab ich meine Unterschrift und habe mir mit einem monatlichen Beitrag von Mk. 1,80 Ruhe verschafft.“

Parteiversammlungen habe er nur einmal besucht; überhaupt sei er nie vereidigt oder endgültig in die Partei aufgenommen worden. – Sowohl in der NSDAP-Gaukartei wie in der NSDAP-Zentralkartei wird Ernst Streun als Mitglied (Nr. 5.198.100) geführt, Eintritt in die Partei datiert auf „1. Mai 1937“ (also nach der Eintrittssperre), Ortsgruppe Aschaffenburg [Nachtrag:] West (BArch, NSDAP-Mitgliederkarteien).

Ernst Streun diente während des Zweiten Weltkriegs beim Heeres-Verpflegungsamt Altenburg, wie Dokumente der ehemaligen Wehrmachtsauskunftsstelle im Bundesarchiv belegen (BArch, Abteilung PA, Altsig. 23080 135/138). Eigenen Angaben folgend, war er 1936 zur Teilnahme an einem Lehrgang für Heeresverpflegungsbeamte aufgefordert worden, seitens des Wehrmeldeamts Aschaffenburg. Obwohl er als Geschäftsmann keine Zeit gehabt habe, sei er der Aufforderung schließlich nachgekommen, um nicht in anderer Funktion als Soldat eingezogen zu werden („Wenn schon Soldat, dann lieber als Wehrmachtsbeamter als wie Schütze xy“). Er wurde „Zahlmeister, Oberzahlmeister und beim Kriegsende wurde mir noch eine Beförderung zum Stabsintendanten der Res[erve] nachgeschickt“, obwohl eine derartige Beförderung bereits 1943 „fällig gewesen“ wäre. Das Kriegsverdienstkreuz II. Klasse, das ihm „zum Schlusse des Kriegs noch verkündet“ worden sei, habe er nie getragen. Unter welchen Umständen er in Kriegsgefangenschaft geriet, ließ sich anhand des eingesehenen Quellmaterials nicht näher bestimmen.

Unter dem Punkt „Angaben über Ihre Haupttätigkeit“ gab Ernst Streun in seinem Meldebogen (28.04.1946) für die Zeit zwischen 1932 und 1945 „selbst[ändig]“ und „Unternehmer“ an. Sein steuerpflichtiges Einkommen stieg seinen Angaben nach von 3.000, – RM 1932 auf 6.400, – RM 1943; für 1945 gab er 2.500, – RM zu Protokoll. Wie oben erwähnt betrieb er zunächst einen Lebensmittelladen in der Innenstadt von Aschaffenburg, seit 1935 dann im Stadtteil Nilkheim. Mit Schreiben vom 24.08.1945 erhielt er die Genehmigung zur Wiedereröffnung seines Geschäfts.

Entnazifizierungsverfahren

Im Zuge seines Entnazifizierungsverfahrens vor der Spruchkammer Aschaffenburg-Stadt fanden die oben genannten Mitgliedschaften in NS-Organisationen Bestätigung. Ernst Streun selbst stufte sich in die Gruppe V („Entlastete“) ein. Seine „Haltung in der Nazizeit“ sei hinlänglich bekannt; wie erwähnt argumentierte er hauptsächlich mit seiner katholischen Überzeugung. Als ihm „in Kameradenkreisen“ die Frage gestellt worden sei, was er tun würde, wenn er zum Kirchenaustritt aufgefordert werde, habe er geantwortet: „Dann würde ich aus der Partei austreten, denn für meine religiöse Überzeugung sterbe ich!“

Die Spruchkammer stufte ihn in die Kategorie IV („Mitläufer“) ein (Sühnebescheid vom 24.07.1947) und verurteilte ihn zu einer Geldsühne von 360, – RM sowie zur Übernahme der Kosten des Verfahrens (259,90 RM).

Anmerkungen

Der Ernst-Streun-Platz in Nilkheim erhielt 2015 auf Antrag der UBV seinen Namen. In der Begründung wurde besonders hervorgehoben, dass der „Bürgermeister von Nilkheim“ sich für kinderreiche und arme Familien eingesetzt habe – auch durch „Anschreiben lassen“ in seinem Laden – und immer bereit gewesen sei, sich für die Belange der Nilkheimer einzusetzen. Auch seine zahlreichen Ehrenämter fanden Erwähnung.

Bereits 1999 stand eine Benennung zur Debatte: Für die Nilkheimer Schule sollte ein Namenspatron gefunden werden. Zur Auswahl standen „Bürgermeister“ Streun und der Künstler Christian Schad (zur Berichterstattung SSAA, ZAS 01, 10732). Die Entscheidung fiel schließlich auf Letzteren.

Quellen:

  • BArch, NSDAP-Mitgliederkarteien
  • BArch, PA, Meldungen (Altsignaturen):
  • 23080 135
  • 23080 138
  • StAWü, Spruchkammer Aschaffenburg-Stadt 2290
  • SSAA, ZAS 01, 10732

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